© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Pankraz,
A. Merkel und die Maske der Revolution

Nicht nur Pankraz fiel es auf: Zum ersten Mal hat Angela Merkel bei einem ihrer politischen Auftritte echt die Seelen ihrer Zuhörer bewegt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz letztes Wochenende wandte sie sich direkt an die „Revolutionäre in Kairo“, und zwar nicht als Großpolitikerin und Staatschefin von oben herab, sondern gleichsam als Kumpel zu Kumpeln, deren Zorn sie nur allzu gut verstehe und denen sie aus ehrlichstem Herzen einige nützliche Ratschläge geben wolle.

Auch sie, Angela Merkel, sei ja einst Revolutionärin gewesen, nämlich bei der deutschen Wende von 1989, und sie spreche hier also als Revolutionärin zu Revolutionären. Ach, ihr Brüder und Schwestern in Kairo, ich kann euch ja so gut verstehen. ihr seid erfüllt von revolutionärem Feuer, vom heiligen Geist der Freiheit, ihr laßt euch nichts mehr vormachen. Aber ich als alte Auch-Revolutionärin weiß nur allzu gut, daß wir Geduld brauchen, daß wir erst „Strukturen“ schaffen müssen, bevor wir frei wählen und den Sieg feiern können. Bitte, bedenkt das und handelt danach!

Viele Konferenzteilnehmer aus allen Lagern waren sichtbar ergriffen, drückten der Kanzlerin und Revolutionärin enthusiastisch die Hand, einige vergossen dabei sogar Tränen. Die Rührung war allgemein, und wem da plötzlich einige historische Real-Erinnerungen an die Wende von 1989 in die Quere kamen, der schämte sich ihrer beinahe und fühlte sich als Spielverderber. Aber Real-Erinnerungen lassen sich wiederum auch nicht einfach abtun.

Wie war das bei der deutschen Wende? Wer marschierte da wirklich als überzeugter Revolutionär an der Spitze, wer war dagegen und wer wartete schlau ab? Pankraz hat es schon in früheren Arbeiten beschrieben: An der Spitze marschierte damals nur ein einziger, und dieser einzige war kein einzelner, sondern das Volk im ganzen, die Bevölkerung der DDR in ihrer überwältigenden Mehrheit. Und das Volk artikulierte nur ein einziges Ziel, die Wiedervereinigung, den Abbau der Mauer mit anschließenden gesamtdeutschen freien Wahlen.

Das Volk agierte damit vielleicht nicht revolutionär, doch es agierte äußerst klug und human, aus echt christlichem Geist, wenn auch ohne die geringste Anleitung durch sich revolutionär dünkende Zirkel oder Personen. Diese Zirkel, ob sie nun „Neues Forum“ oder „Demokratischer Aufbruch“ hießen, agierten gar nicht, sondern sie re-agierten nur, und zwar reagierten sie in erster Linie auf  den erklärten Willen des Volkes nach Wiedervereinigung. Sie ihrerseits lehnten die Wiedervereinigung ab, es waren im Grunde Konterrevolutionäre, die ihre liebe, liebe DDR erhalten wollten, als Dauerlaboratorium für sozialistische Experimente am lebenden Menschen.

Unvergeßlich für Pankraz jene Szene auf dem Leipziger Augustusplatz (damals noch Karl-Marx-Platz), wo einer jener Revolutionäre vom Neuen Forum zum spontan versammelten Volk Kontakt aufzunehmen versuchte. „Liebe Freunde“, führte er per Flüstertüte aus, „laßt uns nun das Experiment des wahren menschlichen Sozialismus wagen!“ Und aus dem Volk tönte ihm ein zorniger Ruf entgegen: „Nehmt aber diesmal Ratten!“ Solche erlebten Augenblicke ersetzen ganze Politlehrbücher.

Frau Merkel übrigens war damals nicht beim Neuen Forum, sondern beim Demokratischen Aufbruch (DA), einer – wie später herauskam – vom notorischen Stasi-Agenten Wolfgang Schnur ins Leben gerufenen Vereinigung, der unter anderem Günter Nooke und Daniela Dahn angehörten und die bei den schließlich doch stattfindenden ersten freien Wahlen in der DDR 0,9 Prozent der Stimmen erhielt; da war Merkel aber schon wieder draußen.

Schnur hatte sie vor seiner Enttarnung zu seiner Pressesprecherin gemacht, und diesen Posten erhielt sie auch in der ersten, von Lothar de Maizière gebildeten Regierung, bevor sie nach der Wiedervereinigung ihre atemberaubende Karriere in der CDU begann. Ob eine solche Laufbahn die typische Laufbahn einer erklärten Revolutionärin ist, darüber läßt sich streiten. Die meisten „richtigen Revolutionäre“, also die Akteure der ersten Stunde (siehe Danton, siehe Trotzki), fallen bekanntlich später ihren Nachfolgern zum Opfer, „die Revolution frißt ihre Kinder“, wie es heißt.

Ihre letztlich erfolgreichen Erben sind in der Regel zwar ebenfalls schon früh dabei, indes, sie machen sich nie zum Parolenausgeber, halten sich von Anfang an in der zweiten Reihe, beobachten, wie der Hase läuft, und springen im richtigen Moment auf den laufenden Wagen auf. Sie können bei Bedarf auch rechtzeitig wieder abspringen. Ihrem öffentlichen Glanz ist stets ein kräftiger Halbschatten beigemischt, in den sie nötigenfalls ohne Gesichtsverlust zurücktreten.

Man könnte auch sagen: Ihre jeweilige Politik ist für sie immer eine Art Maske, hinter der sich ihr jeweiliges Gesicht verbirgt (falls überhaupt ein solches vorhanden ist). Es ist dies tatsächlich  genau der politische Stil der Angela Merkel. Sie ist sich darin stets gleichgeblieben, damals bei Schnur wie heute bei den Vorgängen in Kairo. Die Revolutionärin, die sie vergangenen Freitag bei der Sicherheitskonferenz so eindrucksvoll verkörperte, war ein Bestandteil dieser  Maske.

Damit erklärt sich auch, warum Merkel ausgerechnet bei der Selbstdarstellung als Revolutionärin so erfolgreich war, daß einige Zuhörer sogar weinen mußten. „Revolution“ ist selber, mehr als jedes andere Politereignis, Maske, ja. vielleicht ist sie nur Maske und sonst nichts.

In diesem Sinne hat schon der Politikwissenschaftler und Historiker Karl Dietrich Bracher danach gefragt, ob es sinnvoll sei, in der Geschichte von Revolutionen zu sprechen. In der Regel handle es sich um nichts weiter als um Ausbrüche momentanen Dauergebrülls und momentaner Gewalt, die durch durchaus vermeidbare Fehler des jeweiligen Systems entstünden und die Entwicklung oft um Jahrzehnte zurückwürfen, statt sie voranzubringen.

Nun, sein Wort in Gottes Ohr und den überzeugten Revolutionären in aller Welt ins Stammbuch.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen