© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Kränkelnder Hort der Stabilität
Saudi-Arabien: Der Freiheitswille der arabischen Nachbarn trift auf eine verunsicherte saudische Führung / Machtkämpfe hinter den Kulissen
Bodo Bost

Die Despotien in der arabischen Welt wackeln. Nach Tunesien und Ägypten könnte der Freiheitsvirus auch Saudi-Arabien erfassen, den wichtigsten Verbündeten der westlichen Welt in der Region und größten Öllieferanten weltweit. Krankheit und Altersschwäche von König Abdullah und Kronprinz Sultan von Saudi-Arabien machen die ungelöste Nachfolgefrage akut. Hinter den Kulissen tobt bereits ein Machtkampf.

Das Image von König Abdullah hat bereits durch die Wikileaks-Enthüllungen, denen zufolge er mehrmals in den letzten Jahren die USA aufgefordert haben soll, den Iran anzugreifen, in der arabischen Welt sehr gelitten. Nun könnte der Freiheitsvirus, der die arabische Welt rund ums Mittelmeer erfaßt, auch auf Saudi-Arabien übergreifen.

All dies trifft König Abdullah von Saudi-Arabien, der sich seit seinem Amtsantritt 2005 redlich bemüht, sein Land für Reformen zu öffnen, in einem sehr ungünstigen Moment, denn der 87jährige Monarch hat gerade einen zweimonatigen Krankenhausaufenthalt im Presbyterianischen Hospital in New York hinter sich, wo er sich zwei Rückenoperationen unterzogen hat.

Wie es um den Gesundheitszustand des Monarchen wirklich bestellt ist, dürfte sich erst in den nächsten Wochen der Rehabilitation in Marokko herausstellen. Während seines Aufenthaltes im Ausland wird der Kronprinz und Verteidigungsminister Sultan bin Abd al-Aziz (83) die Amtsgeschäfte übernehmen. Er kam zur Übernahme der Regentschaft im November 2010 zum ersten Mal seit über einem Jahr nach Saudi-Arabien zurück, weil er bereits seit Jahren vermutlich an einem Krebsleiden laboriert und in einem eigens für die saudische Königsfamilie erbauten schloßartigen Sanatorium in Agadir/Marokko lebt.

Im Sommer 2009 hatte König Abdullah wegen der Erkrankung von Kronprinz Sultan seinen Halbbruder Nayef (77) zum stellvertretenden Premierminister ernannt, ein Posten, der als Sprungbrett auf den Königsthron gilt. Auch Vizeministerpräsident Prinz Nayef und sein Vollbruder Prinz Salman (74), der Gouverneur von Riad, verbringen einen Großteil des Jahres in Agadir. Hier empfangen sie arabische und ausländische Besucher und schließen Verträge. Agadir ist deshalb so etwas wie ein Exilregierungssitz des Königreiches Saudi-Arabien geworden.

Die Erbschaftsfrage wurde eröffnet durch König Abdullah selbst, der seinen Posten als Oberkommandierender der 250.000 Mann starken saudischen Nationalgarde kurz vor seinem Krankenhausaufenthalt in den USA seinem Sohn Mitab (57) übergeben hatte. Diese eigenständige Machtübergabe von Vater auf Sohn ohne Berücksichtigung der Familienrangfolge hatte zu Rivalitäten mit anderen Zweigen der Familie geführt, denn die Inhabe eines hohen Staatsamtes ist neben der Zugehörigkeit zu dem Hause Abdul Aziz Ibn Saud eine der Voraussetzungen, um in den Kreis der Thronanwärter aufzusteigen.

Diese Vorgänge könnten auch ein Anzeichen dafür sein, daß König Abdullah, entgegen der üblichen Praxis, zur Lösung der Nachfolgekrise auf seine eigenen Söhne, er hat davon 15 von insgesamt neun Ehefrauen, als mögliche Nachfolgekandidaten setzen könnte. Dies wird die „Exil-Regierung in Agadir“, wo die anderen Clans der Saud-Familie den Ton angeben, mit allen Mitteln zu verhindern versuchen. König Abdullah zeigte in den vergangenen Monaten deutliche Anzeichen von Altersschwäche. Hinter den Kulissen tobt bereits ein Konflikt um die Nachfolge. Die Familienstreitigkeiten sind von einem dicken Schleier von Geheimnissen umhüllt, ähnlich den Vorgängen von 1975, als König Faisal während einer Regierungssitzung von einem Neffen ermordet wurde.

Abdullah ist der sechste Herrscher des 1932 gegründeten Staates Saudi-Arabien und der 13. Sohn des Reichsgründers Abd al-Aziz Ibn Saud (1880–1953). Abdullah war ein Kompromißkandidat, weil sich die beiden Hauptclans der Großfamilie gegenseitig kontrollieren und nicht auf einen Thronfolger einigen konnten. Die beiden Hauptclans sind der Faisal-Clan, genannt nach Abdul Aziz’ Nachfolger König Saud und der Sudairi-Clan, der insgesamt die meisten Mitglieder hat, denn vier der insgesamt bis zu 20 Frauen von Dynastiegründer Abdul Aziz gehörten diesem Clan an, der gegenwärtig auch alle aussichtsreichen Kandidaten auf die Thronnachfolge stellt. Kronprinz Sultan ist dessen ältestes Mitglied, Vizepremierminister Nayef und Prinz Salman, die jeweils nächsten in der Thronfolge, sind seine Vollbrüder.

Zur Verfassung des Königreichs Saudi-Arabien gehört, daß nur einer der 43 Söhne des 1953 verstorbenen Dynastiegründers Abdul Aziz Ibn Saud König werden kann. Über 15 dieser Söhne sind noch am Leben. Aber höchstens acht von ihnen kämen aufgrund ihres Gesundheitszustandes, der jüngste ist 70, und ihrer Position für das höchste Staatsamt überhaupt in Frage. Dies bedeutet, daß die über 200 Enkel des Gründervaters mehr und mehr in den Kreis der Thronanwärter aufsteigen. Mit ihnen hat sich die Zahl der nach Ämtern und Macht strebenden Prinzen dramatisch erweitert und damit die Nachfolgefrage entscheidend kompliziert.

Erst seit 1953 ist Saudi-Arabien ein zentralistischer Staat, vorher war das Königreich eine lockere Ansammlung von vielen Stammesgebieten unter der Leitung lokaler Stammesherrscher. Die hohe Anzahl von Ehefrauen der saudischen Herrscher war auch dadurch bedingt, daß durch Eheschließungen Allianzen mit den jeweiligen Stämmen der Ehefrauen begründet wurden.

Viele Beobachter fürchten jetzt, daß der Nachfolgestreit im Hause Saud, der im Grunde ein Generationsproblem ist, wieder zur Herausbildung neuer lokaler Machtzentren im Lande führen könnte und am Ende die Monarchie und der Zentralstaat zerfallen könnten. Deshalb hat König Abdullah bereits im Jahr 2006 einen Familienrat, die sogenannte  „Loyalitätskommission“ (majlis al-bai‘a), einberufen, dem alle noch lebenden Söhne Abdul Aziz’, 13 Enkel und je ein vom König ausgewählter Sohn des Königs und des Kronprinzen angehören.

Dieser Familienrat soll laut Mandat nach der Herrschaft des derzeitigen Königs und von Kronprinz Sultan in geheimer Wahl den zukünftigen Herrscher wählen. König Abdullah könnte aber durch die Ernennung Nayefs zum stellvertretenden Premier diese Regelung selbst untergraben haben, weil er die Loyalitätskommission dabei nicht zu Rate gezogen hat. Prinz Nayef, der neue starke Mann in Saudi-Arabien, gehört zu den Konservativen in der Königsfamilie. Er ließ vor kurzem mit der Feststellung aufhorchen, daß für Parteien und Parlamentswahlen in Saudi-Arabien keine Notwendigkeit gegeben sei.

 Auch für mehr Rechte von Frauen in der Gesellschaft sieht Prinz Nayef keine Notwendigkeit. Damit steht er im Gegensatz zu Modernisierungstendenzen im Königreich, die seit einigen Jahren von König Abdullah selbst ausgehen. So eröffnete er vergangenes Jahr – zum Ärger mancher Strenggläubiger – in Dschidda die erste saudische Universität, an der junge Männer und Frauen gemeinsam studieren und Frauen gar Auto fahren dürfen. Dank des immensen Ölreichtums hat das Königreich in nur 50 Jahren den Sprung vom Mittelalter in die Moderne geschafft, diesen Schritt aber gesellschaftlich nicht nachvollzogen.

Eine Zivilgesellschaft oder gar Parteien, die die Macht in Saudi-Arabien kontrollieren könnten, haben sich trotz enormer Anstrengungen im Bildungssektor noch nicht herausgebildet. Das Bürgertum ist in Saudi-Arabien, wegen seiner großen Privilegien auf seiten des Königshauses. Auch die Muslimbrüder, eine der stärksten Oppositionsgruppen in Ägypten, gehören in Saudi-Arabien, seit Entstehen der Herrschaft der Sauds 1902, zu den Stützen der Monarchie.

Aufstände enttäuschter Jugendlicher oder der Muslimbrüder sind in Saudi- Arabien nicht zu befürchten. Sicher war es deshalb kein Zufall, daß der entmachtete tunesische Präsident Ben Ali nach Saudi-Arabien geflüchtet ist. Auch für Ägyptens Präsident Mubarak, einen der engsten Verbündeten des saudischen Königs in der arabischen Welt, könnte das saudische Königreich zu einer Station auf dem Weg ins Exil werden. Spätestens dann könnte sich auch Saudi-Arabien nicht mehr länger dem Freiheitswillen in der arabischen Welt entziehen.

Die Folgen für die Versorgung der Welt mit Rohöl und so für die Weltwirtschaft wären unübersehbar. Derart geschwächt könnte das Königreich auch wieder Ziel für Terroristen von al-Qaida werden. Den Islamisten um den Saudi Osama bin Laden ist das saudische Königshaus, obwohl sich beide auf dieselbe fundamentalistische islamistische Theologie berufen, aufgrund seiner engen Beziehungen zu Amerika ein Dorn im Auge.

 

Muslimbrüder in Saudi-Arabien

Auch auf der Arabischen Halbinsel gab es, unabhängig von der ägyptischen Bruderschaft, eine Ikhwan-(Bruderschaft) Bewegung. Sie ist später im Wahhabismus aufgegangen. Der  Wahhabismus – nach dem eigenen Selbstverständnis die reine, unverfälschte Lehre des sunnitischen Islam – ist seit 1932 Staatsreligion im Königreich Saudi-Arabien. In diesem Kontext gilt die Islamische Universität Medina als Kaderschmiede orthodoxer Muslime und das saudische Herrscherhaus seit Jahrzehnten als Förderer islamisch-fundamentalistischer Gruppierungen im Ausland. Zudem tritt das Land als Geldgeber des Moscheebaus in Europa in Erscheinung.

Foto: König Abdullah bin Abd al-Aziz (l.) und Prinz Salman bin Abd al-Aziz (r.) vor der Abreise des Königs zu einem Klinikaufenthalt in den USA (November 2010): Nach dessen Rückkehr leben beide in Agadir/Marokko

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