© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Die Alleinherrscher sind nervös
Arabisches Freiheits­ eber: Kein Land, in dem es keine Demonstrationen gibt / Regierungswechsel und Preissenkungen als Notprogramm
Curd-Torsten Weick

Wenn es nach dem Orientexperten Burhan Ghalioun geht, stand nicht nur die Macht der Sicherheitsapparate, sondern vor allem auch die „Antriebslosigkeit der arabischen Gesellschaften“ einer Demokratisierung lange Zeit im Weg. Bereits im Sommer 2005 hatte der Professor für Soziologie an der Pariser Sorbonne in einem Interview mit dem Onlineportal qantara.de schonungslos Bilanz gezogen und dem System der arabischen Herrschaftsmonopole jegliche Legitimität abgesprochen: „Ihre Zeit ist vorbei.“

Fünf Jahre später ist die „Antriebslosigkeit“ eines großen Teils der arabischen Gesellschaft ins Gegenteil verkehrt. Zwischen Marokko und Jemen, Syrien und Mauretanien proben die politisch und sozial Unzufriedenen den Aufstand.

Dabei trifft eine junge Bevölkerung – im Schnitt ist in allen betroffenen Staaten jeder zweite Bewohner unter 25 Jahren – auf Führungsstrukturen, die seit Jahrzehnten kaum verändert wurden. Ein Paradebeispiel bildete hier Tunesien, das allein aufgrund seiner verknöcherten Struktur nach ein paar Tagen Protest wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen war.

Die Herrscher sind nervös. In Mauretanien ließ Präsident Abd al Aziz schnell die Lebensmittelpreise senken, in Jordanien entließ König Abdullah II. seine Regierung, und selbst im Königreich Saudi-Arabien meinte der Großmufti von Saudi-Arabien, Abd al-Aziz bin Abdullah Al asch-Schaich, in einer Predigt, das „Feinde des Islam“ hinter den Demonstrationen in Tunesien und Ägypten stünden, deren Ziel es sei, die arabischen Staaten zu schwächen. Zudem appellierte er an die Jugend, sich von diesen „Chaoten“ nicht anstecken zu lassen. Dennoch lodert der Funke der Freiheit weiter. Der Funke der Demokratisierung hat es jedoch schwer. Der sogenannnte „regime change“ ist kein leichtes Unfangen.

Allein das Beispiel Ägypten beweist – der Weg in die alleinherrscherlose Zukunft ist steinig. Die Opposition ist zersplittert, alte Machteliten versuchen sich als Stabilitätsstützen. Parallel dazu werfen Verfahrens- und Verfassungsfragen mehr Fragen auf als ein Rückzug des Diktators Mubarak lösen kann.

Kairo 2011 ist eben nicht Berlin 1989, erklärt dann auch der ehemalige tschechische Präsident Vaclav Havel gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Der Zerfall des Ostblocks und der danach folgende demokratische Wandel kann kein Vorbild für einen Umsturz im arabischen Raum sein: „Ich muß darauf hinweisen, daß die Situation in den arabischen Ländern ganz anders ist – die Mentalität, Kultur, politische Kultur und Weltsicht“. Doch so etwas wollen die Demonstranten in Kairo, Algier oder Tunis nicht hören. Und so kämpfen sie weiter für eine fruchtbare Symbiose von Freiheit, Religion und Demokratie – und zeigen in diesem Zusammenhang nicht selten auf ihre Vorbilder: Recep T. Erdoğans Gerechtigkeitspatei AKP in der Türkei und Angela Merkels CDU in Deutschland.

 

Marokko

Für den 20. Februar rufen Internetaktivisten und Islamisten zu einer Großdemonstration gegen Armut und die Allmacht von „Party“- König Mohammed VI. (seit 1999 im Amt) auf.

 

Tunesien

Auch nach der Flucht  Ben Alis und nach Regierungsumbildungen finden weiterhin blutige Demonstrationen statt. Die Übergangsregierung beruft Reservisten ein.

 

Jordanien

Nach Massendemonstrationen und einem Protestschreiben einflußreicher Beduinenstämme hat König Abdullah II. (seit 1999 im Amt) seine Regierung entlassen.

 

Ägypten

Zwei Wochen nach Beginn der Revolte zeigt sich Hosni Mubarak lernfähig. Er bringt eine Verfassungsreform auf den Weg und zeigt sich bereit für Gespräche über weitere Reformen.

 

Algerien

Für den 12. Februar hat die Opposition zu einer Großdemonstration für einen Sturz des Systems um Regierungschef Abd al-Aziz Bouteflika (seit 1999 im Amt) aufgerufen.

 

Mauretanien

Angesichts zunehmender Demonstrationen hat Präsident und General  Abd al Aziz (seit Militärputsch 2008 an der Macht) die Lebensmittelpreise um bis zu 30 Prozent gesenkt.

 

Libyen

Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi (seit 1969 an der Macht) besänftigt den Unmut der Bevölkerung, der selten nach außen dringt, mit Millardenprogrammen.

 

Nord-Sudan

Die Regierung um Generalleutnant Umar Hasan Ahmad al-Baschir (seit 1989 im Amt) geht mit äußerster Gewalt gegen die Demonstrationen vor. Hunderte Verhaftungen.

 

Saudi-Arabien

Das Königreich ist beschäftigt sich mehr um die Nachfolge von  König Abdullah. Die Kritik des Großmuftis an den  „Chaoten“ zeigt das Unbehagen der Entwicklung.

 

Jemen

Im Jemen protestieren Zehntausende. Angesichts dessen hat Präsident Ali Abdullah Salih (seit 1990 im Amt) für das Jahr 2013 seinen Rückzug aus der Politik angekündigt.

 

Libanon

Die Tage des Zorns fanden regen Zuspruch. Sie wurden aber durch Proteste der Sunniten und Christen um Präsident Suleiman gegen den Machtzuwachs der Hizbollah überlagert.

 

Syrien

Der Aufruf der Opposition zum Tag des Zorns fand wenig Resonanz. Präsident Baschar Hafiz al-Assad (seit 2000) regiert das Land mit harter Hand und  Lebensmittelhilfen.

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