© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Auf der Suche nach den neuen Konservativen
CDU: Angesichts der Kritik der Basis am Linkstrend der Union versucht die Parteiführung den Eindruck einer Kurskorrektur zu vermitteln
Ansgar Lange

Merkel macht wieder konservativer“, titelte das Handelsblatt Anfang Januar. Eine Aussage, die angesichts der Konservatismus-Debatte, die das vergangene Jahr der Union beschert hatte, verwundert. Ist dies wirklich so? Die vermeintlichen Belege für einen neuen konservativen Kurs der Kanzlerin, die das Blatt auflistet, lassen Zweifel aufkommen. Daß die CDU-Vorsitzende ihre Partei angesichts von sieben Landtagswahlen in diesem Jahr angeblich auf einen strikten Wirtschaftskurs einstimmen will, ist schließlich noch kein Indiz für eine Rückbesinnung auf konservative Themen und Stammwähler.

In der sogenannten „Mainzer Erklärung“ der Parteiführung vom 15. Januar dieses Jahres, die in den Medien als Hinweis für einen „Rechtsruck“ der Union herhalten muß, ist denn auch nur die Rede davon, daß Deutschland sich als führende Wirtschaftsnation seiner ökonomischen Stärken und Traditionen bewußt sei und eine konsequente Industriepolitik betreiben wolle. Belastbare gesellschaftspolitische Aussagen, etwa zu einer traditionellen Familienpolitik, sucht man vergebens. Nicht umsonst trägt das Dokument den sperrigen und technokratischen Untertitel „Im Interesse der Menschen – für eine moderne Standortpolitik“.

Mancher Beobachter sprach daher mit Blick auf die Erklärung völlig zu Recht von einer „Vielstimmigkeit vom feinsten“. Die Kanzlerin, die nicht unbedingt für klare konservative Kante steht, will es sich eben mit niemandem verderben, weder mit den Grünen noch mit der FDP. Wirklich konservative Positionen würden da nur stören. „Soviel Offenheit wie möglich zum Machterhalt“ war schon immer ihr Motto und wird es auch in Zukunft sein. Mit einem gewissen Amüsement wurden auch die Einlassungen von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe quittiert, wonach eine Abschaffung des Ehegattensplittings mit der Union nicht zu machen sei. Glaubt Gröhe wirklich, so wurde gefragt, daß er damit verschreckte Konservative wieder einfangen kann?

Mit ihrer „Mainzer Erklärung“ wollte sich die CDU als Partei des aktuellen Wirtschaftsaufschwungs inszenieren. Dank kluger Staatskunst sei das Land bestens durch die Krise gekommen. Sogar Vollbeschäftigung sei in Zukunft nicht mehr ausgeschlossen. Ob diese Schalmeienklänge bei den Bürgern ankommen, die zwar immer höhere Steuern und Abgaben entrichten müssen, deren Realeinkommen aber in den vergangenen Jahren spürbar gesunken sind, werden nicht die jetzt wieder für die Union etwas günstigeren Umfragen, sondern die bevorstehenden Abstimmungen an der Wahlurne zeigen. Den versprochenen baldigen Steuersenkungen hat die Union in ihrer Erklärung jedenfalls wieder eine Absage erteilt. Sarkastisch könnte man formulieren, daß FDP und CDU/CSU eine grundlegende Steuerreform wahrscheinlich wieder pünktlich zur nächsten Bundestagswahl als Kernstück einer geistig-moralischen Wende im Lande ankündigen werden.

Was ist die neue relative Stärke der CDU wert, wenn der potentielle Koalitionspartner FDP aus dem Umfragentief nicht herauskommt und Bündnisse mit den Grünen – siehe Hamburg – äußerst wacklige Unterfangen sind, die überdies nur um den Preis des völligen Ausverkaufs eigener Inhalte und Werte zu schmieden sind? Angesichts dieser trüben Aussichten mag manchem Christdemokraten ein Zusammengehen in einer Großen Koalition mit einer „konservativen“ Steinmeier- oder Steinbrück-SPD noch am verlockendsten erscheinen.

Mit der „Berliner Erklärung“ vom 14. Januar 2010 hatte die CDU gar zu deutlich nach links geschielt. Die Christdemokraten wollten damals vor allem neue Wählerschichten ansprechen: „Wir wollen bisherige Wählerinnen und Wähler der SPD für uns gewinnen, die vom Linksruck dieser Partei und der zunehmenden Bereitschaft zu Bündnissen mit der Linken enttäuscht sind. (...) Wir wollen mit einer konsequenten Umwelt- und Klimaschutzpolitik verstärkt Wählerinnen und Wähler für uns gewinnen, denen die Bewahrung der Schöpfung ein besonderes Anliegen ist.“

Die Welt schrieb damals treffend über die Linksfischerin an der Parteispitze: „Die CDU bemüht sich um ein modernes Profil. Sie richtet sich ganz in einer Gegenwart ein, die den herkömmlichen CDU-Wählern unwirtlich erscheinen wird. Das mag vernünftig sein. Es besteht aber die Gefahr, daß das ‚C’ im Namen bald kaum mehr als eine Erinnerung sein könnte.“ Konservativ sei in der Union nun fast ein Schimpfwort. Mit der „Berliner Erklärung“, so dieWelt, scheine die Partei unter Merkel wild entschlossen, „sich an allen Frontlinien der Modernisierung und des Wertewandels zu bewähren“.

Dieser allzu beliebige Kurs der völligen Öffnung nach allen Seiten und des Ausverkaufs der alten Werte bekam der Union jedoch in den Umfragen nicht besonders gut. An der Parteibasis sorgte sie für blankes Entsetzen. Kurz nach der Veröffentlichung der „Berliner Erklärung“ rief der ehemalige CDU-Bundesrichter und Rechtsanwalt Friedrich-Wilhelm Siebeke die „Aktion Linkstrend stoppen“ ins Leben (siehe Kasten). Mit einem „Manifest gegen den Linkstrend“ wandten sich Siebeke und seine zahlreichen Mitstreiter, darunter der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Werner Münch, und der ehemalige Berliner CDU-Abgeordnete René Stadtkewitz, explizit gegen den mit der „Berliner Erklärung“ eingeschlagenen Kurs. Die CDU, so ihre Kritiker, die ausdrücklich zunächst keine Partei rechts der Union anstrebten, verabschiede sich nun endgültig von ihren Wurzeln und ihren langjährigen Stammwählern.

Versuche der Parteiführung, diesen Linkstrend zu leugnen, wirkten bisweilen grotesk. So gab die Parteivorsitzende in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Protokoll, sie gebe zuvörderst den Konservativen in der CDU eine politische Heimat. Ferner nannte sie Volker Kauder, der als Fraktionsvorsitzender eine Art „williger Vollstrecker“ des „Modernisierungskurses“ der Partei geworden war, Volker Bouffier, der erst noch aus dem Schatten des Schein-Konservativen Roland Koch treten mußte, sowie den Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach, der längst an den Rand gedrängt wurde, als Lordsiegelbewahrer eines konservativen Kurses oder Flügels der CDU. Daß Jörg Schönbohm, Friedrich Merz, Roland Koch oder Erika Steinbach mehr oder minder aus Frustration über den politischen Kurs der Kanzlerin und Parteivorsitzenden mittlerweile hingeschmissen hatten, perlte an der kühlen Machttechnikerin ab. Solange sich keine konservative oder rechte Alternative zur CDU gebildet hat, so denkt Merkel damals wie heute, droht ihr keine Gefahr, und sie ist wenigstens ein paar Kritiker ihres Kurses los.

Um die Frage zu beantworten, ob die CDU in den vergangenen Monaten wieder konservativer geworden sei, sollte man sich nur die Grundpositionen anschauen, die Siebeke und seine Mitstreiter vor einem Jahr formulierten. Sie kritisierten den Marsch in den Schuldenstaat, der eine bedrängte Mittelschicht immer mehr in Probleme bringe. Sie nahmen eine linke Gesellschaftspolitik mit „Gender Mainstreaming“, Homo-Ehe und Antidiskriminierungsgesetz aufs Korn. Sie wandten sich gegen eine Multikulti-Integrationspolitik sowie eine linke Schulpolitik. Sie forderten einen stärkeren Einsatz für eine überfällige würdige Erinnerung an die deutschen Opfer der Vertreibung und bemängelten die Hinnahme hunderttausendfacher straffreier Kindstötung durch Abtreibung. Zudem forderten sie die Politiker dazu auf, die Gefahr der Islamisierung stärker beim Namen zu nennen.

Es wäre ungerecht und illusorisch, eine Lösung all dieser Probleme binnen eines Jahres zu erwarten. Würde die CDU ein solches Programm vollumfänglich durchzusetzen versuchen, wäre sie zudem derzeit wohl nicht mehr mehrheitsfähig. Allerdings darf schon darauf hingewiesen werden, daß die Milliardenhilfen für die südeuropäischen Schuldenländer sowie Irland, das störrische Beharren des verbitterten Finanzministers Wolfgang Schäuble, die Bürger nur ja nicht steuerlich zu entlasten, der ziemlich feige Kurs der Parteiführung in der Debatte um die Integrationsthesen von Thilo Sarrazin, die törichte Forderung von Arbeitsministerin von der Leyen nach einer Frauenquote, die chaotische und gegenüber den Grünen und der SPD opportunistische Schulpolitik in manchen Ländern sowie das Einknicken vieler Christdemokraten in der Frage eines Verbots der Präimplantationsdiagnostik die Dinge nicht unbedingt zum Besseren bestellt haben. Außerdem sträubt sich der blasse Innenminister Thomas de Maizière beharrlich, den „Law and Order“-Mann zu geben. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner kümmert sich um Google Street View, aber weniger um die konservative Stammklientel der Bauern. Und die Familienministerin Kristina Schröder machte die meisten Schlagzeilen mit der Verkündung ihrer Schwangerschaft Ende Januar. Immerhin.

Um ein nüchternes Fazit zu ziehen: Merkel hat eine Politik der dramatischen Öffnung nach links betrieben. Dies hat zu medial stark verbreiteter Kritik, gerade auch durch die „Aktion Linkstrend stoppen“ geführt. Die „Gefahr“ der Gründung einer Partei „rechts“ von der Union konnte erfolgreich ausgesessen werden, weil es dem christlich-konservativen Milieu augenscheinlich immer noch daran gebricht, ein vernünftiges Programm, gutes Personal und eine stattliche Kriegskasse zusammenzubringen – und zwar alles gleichzeitig.

Gegenüber den Gegnern von „Stuttgart 21“ und mit ihrer Weigerung, finanzielle Rettungsschirme für Pleitestaaten wie Griechenland immer weiter auszudehnen, hat Merkel so getan, als steuere sie wiede reinen konservativeren Kurs. Offenbar war dem Konrad-Adenauer-Haus die Unruhe an der Basis zu laut und der Abwärtstrend in den Umfragen zu rasant. Die CDU möchte eben eine Wohlfühl-Partei sein. De facto hat sich am Kurs aber nichts geändert. Aus der Sicht Merkels gefragt: Warum auch? Die Grünen und die Sozialdemokraten machen es ihr und der CDU derzeit leicht, einäugiger König unter lauter Blinden zu sein.

 

Aktion Linkstrend stoppen

Die „Aktion Linkstrend stoppen“ wurde Anfang Februar 2010 auf Initiative des ehemaligen CDU-Bundesrichters Friedrich-Wilhelm Siebeke als direkte Reaktion auf die am 15. Januar veröffentlichte Berliner Erklärung ins Leben gerufen. In einem in mehreren großen Tageszeitungen veröffentlichten  „Manifest gegen den Linkstrend“ forderten Siebeke und seine Mitstreiter von der Parteiführung eine  „grundlegende politische Kurskorrektur, eine geistige Wende“.

Die CDU wolle sich mit der „Berliner Erklärung“ von ihren Wurzeln und langjährigen Stammwählern verabschieden, kritisierten sie. Auf Kritik stieß bei den Unterzeichnern des Manifestes vor allem der von der Union mitverantwortete  „Marsch in den Schuldenstaat“, die linke Gesellschaftspolitik sowie die Fortführung der „gescheiterten Multikulti-Integrationspolitik“ durch die schwarz-gelbe Bundesregierung. Mittlerweile ist das Manifest von 6.800 Kritikern am Kurs der CDU unterzeichnet worden; die Facebook-Seite der Aktion hat rund 4.500 Mitglieder.

Große Aufmerksamkeit in den Medien und in der Öffentlichkeit erlangte die Aktion Linkstrend stoppen im vergangenen Herbst durch ihr Auftreten bei den CDU-Regionalkonferenzen und den Parteitagen von CDU, CSU und Junger Union. Die Präsenz in der Öffentlichkeit brachte Siebeke ein Gesprächsangebot der Parteiführung ein.

Für Anfang Mai nun plant die Aktion Linkstrend stoppen nach Angaben ihres Sprechers Michael Nickel unter dem Motto „Deutsche  Tea-Party oder neue Partei“ einen  ersten großen konservativen Kongreß in Berlin.

www.linkstrend-stoppen.de

Foto: Die CDU im Abwärtsstrudel: Gerade bei den gesellschaftspolitischen Themen ist die Union von einem konservativen Kurswechsel weit entfernt

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