© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Die Bomber liebenlernen
Dresden und der 13. Februar: Die deutsche Unfähigkeit, eigene Opfer zu betrauern
Thorsten Hinz

Alle Jahre wieder rüstet Dresden sich am 13. Februar für den Mummenschanz. Den Anlaß bietet der Terrorangriff von 1945: Ein Massenmord, der als solcher erdacht, geplant und von englischen und amerikanischen Bombern mit technischer Präzision ausgeführt wurde. Das war vor 66 Jahren. Es gibt Gesten und Zeichen der ehemaligen Feindmächte, daß sie die Flächenbombardements deutscher Städte für keine Glanzstücke ihrer Kriegskunst mehr halten. Heute geht es darum, wie der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft an diese Untat und ihre Opfer erinnern. Mit jedem Jahr wird die Verlegenheit größer. Grund ist die schlichte Tatsache, daß die Opfer des Dresdner Massenmordes – Deutsche waren! Noch immer gibt es keine öffentlichen Rituale, die geeignet sind, die Aufwallungen individueller Trauer zu adaptieren.

In diesen Hohlraum des Bewußtseins stößt die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) mit ihrem Trauermarsch. Das diesjährige Motto „Recht auf Gedenken – der Wahrheit eine Gasse“ zielt weniger auf das Totengedenken als auf die Ausweitung politischer Spielräume. Das hat seine Berechtigung, weil das simple, von politischen Interessen diktierte Geschichtsbild der Bundesrepublik die unverstellte Trauer und Totenklage blockiert. Weil aber die Organisatoren und Teilnehmer des Marsches sich erfahrungsgemäß zu großen Teilen aus dem Umfeld der NPD rekrutieren, werden selbst diejenigen Bürger, die innerlich mit dem konkreten Anliegen sympathisieren, sich vor einer Solidarisierung hüten. Auf längere Sicht besteht die Gefahr, daß Trauerbekundungen für die Opfer des Bombenkriegs in den Ruch reiner „Nazi-Veranstaltungen“ rücken.

Staat und Zivilgesellschaft reagieren in einer gemäßigten und einer radikalen Variante. In einem „Gemeinsamen Aufruf der Stadt Dresden“ haben Parteien, Kirchen und Organisationen zu einer Menschenkette um die Dresdner Innenstadt aufgerufen. Das Gedenken an das „Leid der Bombennacht“, heißt es, schließe „die Millionen Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen und des Zweiten Weltkriegs ein. Wir erinnern an die historische Verantwortung, die auch unsere Stadt für diese Verbrechen und diesen Krieg trägt“. Die Menschenkette soll sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit richten.

In der radikalen Variante haben sich Antifa-Gruppen mit einschlägigen Personen aus Politik, Kultur und öffentlichem Leben zusammengefunden, darunter die Bundestagsvizepräsidenten Petra Pau (Die Linke) und Wolfgang Thierse (SPD) sowie der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele. Unter dem Motto „Nazifrei! – Dresden stellt sich quer“ sind Blockaden der für den 13. und 19. Februar geplanten Märsche der JLO geplant. Das ist vorsätzlicher Rechtsbruch!

Gerade hat das Dresdner Verwaltungsgericht einen Beschluß zu einem vergleichbaren Fall vom vergangenen Jahr getroffen. Die Polizei hatte die genehmigte JLO-Demonstration angesichts aggressiver Gegendemonstranten abgebrochen. Sie wäre aber laut Gericht verpflichtet gewesen, sie zu ermöglichen. Offenbar ist die Judikative die letzte Instanz, die das Demonstrationsrecht von Nicht-Antifaschisten ernst nimmt. Hingegen wollen Teile der politischen und medialen Klasse den Rechts- und Normenstaat, der den Freiraum des Bürgers und die Rechte der Minderheit gegenüber der Mehrheit garantiert, zurückdrängen und einen antifaschistischen Maßnahmestaat errichten, der den Menschen notfalls mit Gewalt Bekenntnis- und Handlungszwänge auferlegt. Allein um diese bedrohliche Tendenz zu stoppen, muß man der JLO-Veranstaltung Erfolg wünschen.

Nachpubertäre Selbsterfahrungsspiele und Widerstandsgesten, die nichts kosten, am Jahrestag eines mörderischen Schlachtfestes und unter Beteiligung staatlicher Repräsentanten sind Symptome eines Kollektivwahns. Tatsächlich ist aus dem politisch-ideologischen Konflikt längst ein klinischer Fall geworden. Ursächlich ist die Kluft zwischen dem kreatürlichen Trauerbedürfnis und der Logik der offiziellen Vergangenheitsbewältigung, der auch der „Gemeinsame Aufruf“ gehorcht.

Trauer – das Vergegenwärtigen und Verarbeiten eines Verlustes – ist stets „lebensweltlich konkret“ und wird über die „Mythologie der Verwandtschaft“ (Peter Furth) generiert. Jedoch untersagt die Vergangenheitsbewältigung eine Identifikation mit den verwandten, den deutschen Opfern. Die auf eine deutsche Alleinschuld abgestellte Geschichtsdogmatik erpreßt die Identifikation mit jenen Toten, die von Deutschen verursacht wurden, während eigene Verluste zu nachgeordneten Funktionsgrößen von Rache, Vergeltung, verdienter Strafe schrumpfen.

Der so präparierte, bundesrepublikanische Staatsmensch imaginiert also eine Opfergeschichte, der die verwandtschaftliche Beglaubigung fehlt und die die Verdrängung tradierter eigener Erfahrungen erzwingt. Diese allgemeine Neurotisierung objektiviert sich mit dialektischer Zwangsläufigkeit in der Gestalt des vermeintlichen Neonazis beziehungsweise Rechtsextremen, der das Verdrängte auszusprechen wagt. Damit macht er sich zum Haß- und Jagdobjekt. In ihm bekämpft der Staatsmensch, was auch in ihm verbotenerweise nach oben zu drängen droht.

Kein Volk, das so dahindämmert, kann frei sein.

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