© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Luftangriff vom Bürosessel aus
Besatzungslose Drohnen und Militärroboter anonymisieren die Kriege des 21. Jahrhunderts
Joachim Feyerabend

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“, diese gern von Pazifisten zitierte Zeile aus dem Gedicht „The People, Yes“ von Carl Sandburg gewinnt inzwischen eine neue Deutung: In Pakistan, Afghanistan, Jemen und Somalia findet ein Luftkrieg ohne Piloten und Soldaten statt. Die autonomen Killermaschinen kreisen in bis zu 15 Kilometern Höhe, unsichtbar und unhörbar für den Feind. Das Zischen ihrer überschallschnellen Geschosse ist das letzte, was er im Leben hört.

Die Führer dieser sogenannten Drohnen sitzen im bequemen Bürosessel irgendwo im Pentagon oder einer der etwa 16 US-Geheimdienstzentralen. Sie starren auf Monitore und lenken ihre Projektile per Mausklick ins Ziel. Die Drohnen gelten als Wunderwaffe im Kampf gegen den spinnennetzartigen, globalen Terror, der ebenfalls keine Souveränitätsgrenzen kennt. Wie bei PC-Spielen sind keine eigenen Todesopfer zu beklagen, allenfalls der Verlust des teuren Kriegsmaterials. Die Aderlässe beim realen Gegner sind groß und zivile Kollateralschäden inbegriffen.

Hauptziel der Attacken ist bislang die pakistanische Provinz Nordwasiristan an der Grenze zu Afghanistan. Bei den offiziell 113 Angriffen der stählernen Insekten und ihrer Hellfire-Raketen oder Präzisionsbomben kamen 2010 etwa 670 Menschen ums Leben. 2009 waren es „nur“ 420 gewesen. Kritiker warnen, daß die Bilder von den bei der Taliban-Jagd getöteten Frauen und Kindern den Islamisten nur noch mehr Anhänger zutreiben. Auch rechtlich sind die US-Drohnenangriffe fragwürdig, sie untergraben zudem die Autorität der fragilen pakistanischen Regierung.

Doch Friedensnobelpreisträger Barack Obama hat es als US-Präsident so beschlossen, und von seinen westlichen Bundesgenossen (die sich eher über Segelunfälle erregen) ist keine Kritik zu vernehmen. Bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit hat Obama mehr Drohnenraketen abfeuern lassen, als Amtsvorgänger George W. Bush in acht Jahren.

Und das US-Beispiel macht Schule, die intelligenten Waffensysteme haben eine ganze Industrie hervorgebracht. Großbritannien, Australien, Rußland, Israel oder Singapur rüsten sich längst für den Krieg der Zukunft. Japans Jieitai, die auf 240.000 Soldaten limitierten Selbstverteidigungskräfte, wollen solche Systeme anschaffen. Frankreich interessiert sich für den US-„Predator“. Die Bundeswehr will das israelische Aufklärersystem „Heron-1“ einsetzen und liebäugelt mit der Tarnkappendrohne „nEUROn“, die ein europäisches Konsortium unter Führung des französischen Flugzeugkonzerns Dassault entwickelt hat.

Eine kleine Polizeidrohne überwachte übrigens den jüngsten Castor-Atomtransport: Der „Drehflügler“ kostete den deutschen Steuerzahler 47.000 Euro, für die militärischen Brüder müssen ein paar Nullen angehängt werden. So stellte Aerovironment für die 123 modellflugzeuggroßen Drohnen zur Nahaufklärung der US-Armee 46 Millionen Dollar in Rechnung. Die Entwicklung von Atomraketen-Drohnen dürfte ein Vielfaches verschlingen.

Die US-Armee hat für den September dieses Jahr unter dem Motto „Manned Unmanned Systems Integration Concept“ (Music) eine große Schau der neuen Waffen im Dugway Proving Ground (Utah) angekündigt. Hier soll das Zusammenwirken des „Grey Eagle“, von „Hunter“, „Predator“, „Reaper“ und „Ikhana“ sowie „Shadow Raven“ mit der übrigen Truppe demonstriert werden. Überwacht wird das Ganze von den Apache-Kampfhubschraubern. Kürzel wie STM (eine 13-Pfund-Bombe für Drohnen) stehen für immer raffiniertere Waffensysteme, die – so der Hersteller Raytheon – rund um die Uhr, satellitengestützt und ungeachtet der Witterung zielgenau eingesetzt werden können.

Die Firma Raytheon in Massachu­setts gilt als Marktführer bei Drohnen, stellt aber auch andere Waffensysteme wie den Marschflugkörper „Tomahawk“, das Flugabwehrsystem „Patriot“, Torpedos und sogar Radarsysteme für die Sportschiffahrt her. Northrop Grumman ist mit dem marinetauglichen Flugkörper „MQ-8B Fire Scout“ im Geschäft, Boeing entwickelte für die Marine den „A160T“, einen fliegenden Transportroboter. Längst lassen sich unbemannte „Undersea Robots“, wie sie für die Ozeanographie entwickelt wurden, militärisch über große Distanzen einsetzen. Lockhead Martin nannte den Erstflug von „Tracer“, einem Radarsystem an Bord des unbemannten „MQ-9“, einen Meilenstein: Es kann in Bewegung befindliche Militärfahrzeuge unter ihrer Tarnung oder in Bunkern ausmachen und anvisieren.

Der unter strenger Geheimhaltung stehende Flug des space-shuttle-ähnlichen, unbemannten Raumfahrzeuges „X-37-B“ läßt Experten vermuten, daß nun auch der erdnahe Weltraum mit seinen Satelliten im Visier ist. Lockhead stellte zusammen mit Kaman Aerospace zudem mit „K-Max UAS“ einen unbemannten Helikopter vor, der speziell dafür geeignet ist, Material in Kampfgebiete zu liefern. Nicht nur in der Luft, auch auf dem Boden können inzwischen gepanzerte Raupenfahrzeuge ferngelenkt das Terrain erkunden. Bis zum Jahr 2015, so fordert es der US-Kongreß, soll ein Drittel aller militärischen Bodenfahrzeuge unbemannt sein.

Eine neue Schußwaffe von Heckler & Koch gibt Schützenhilfe. Sie läßt Munition automatisch über dem Ziel so explodieren, daß dem Gegner kein Schützengraben mehr hilft. Mit der Drohne „Gorgon Stare“ und ihren neun Kameras soll es möglich sein, Übertragungen von Truppenbewegungen innerhalb ganzer Städte in die Kommandozentrale zu übermitteln.

Allerdings ist der Einsatz an Kapital gewaltig, und manchmal müssen auch peinliche Verluste einkalkuliert werden. So gaben die iranischen Revolutionsgarden im Januar bekannt, sie hätten mehrere westliche Drohnen abgeschossen, als sie das Territorium ihres Staates verletzt haben sollen.

Übersicht der militärischen Drohnen: www.globalsecurity.org

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen