© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Lernen aus der Wirtschaftskrise
Ein Reprint zur Krise 1929
Erik Lommatzsch

Max Otte teilt offenbar nicht Hegels Pessimismus, man könne aus der Geschichte nur lernen, daß man aus der Geschichte nichts lernt. Ansonsten wäre das Engagement Ottes, der als Wirtschaftsexperte die 2008 eskalierende Finanzkrise erschreckend exakt vorhergesagt hatte, für die Neuherausgabe des erstmals 1973 erschienenen, inzwischen als Klassiker geltenden Werkes „Die Weltwirtschaftskrise 1929–1939“ von Charles P. Kindleberger (1910–2003) nur schwer zu erklären. Kindleberger, der ab 1948 am Massachusetts Institute of Technology lehrte, konnte seine wirtschaftshistorischen Analysen auch auf breite praktische Erfahrungen, etwa als Mitarbeiter des US-Finanz- und Außenministeriums sowie der Federal Reserve Bank, stützen.

Betrachtet wird die sich nach 1918 vollziehende und schließlich zur Weltwirtschaftskrise führende ökonomische Entwicklung unter Einbeziehung seinerzeit gängiger Erklärungsmodelle, etwa der Ansicht, eine fehlerhafte US-Geldpolitik habe die Krise verursacht.

Kindleberger kommt zu einem anderen Ergebnis: Die Weltwirtschaft bedarf eines wohlwollenden Stabilisators, der fünf essentielle Aufgaben übernehmen muß: die Aufrechterhaltung eines relativ offenen Marktes für Güter in Krisenbrachen, die kontrazyklische Bereitstellung von Krediten, die Überwachung eines Systems relativ stabiler Wechselkurse, die Koordinierung der makroökonomischen Politik sowie die Funktion als Kreditgeber der letzten Instanz durch Ankauf von Forderungen und Wertpapieren oder Bereitstellung von Liquidität durch andere Mittel. Ausdrücklich wird betont, daß diese Funktionen durch ein einziges Land zu übernehmen seien. In der damaligen Situation sei die Depression so schwerwiegend gewesen, weil das internationale Finanzsystem instabil gewesen sei. Die Briten seien nicht fähig und die Amerikaner nicht willens gewesen, diese Aufgaben zu übernehmen.

Bescheiden betont Kindleberger, er biete lediglich eine Erklärung der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit. Man darf getrost hinzufügen: eine überzeugende. Und da sich bei vielen der hier gezeigten historischen Vorgänge fast überdeutlich Parallelen zur Gegenwart aufdrängen, liegt der Gedanke sehr nahe, von Kindleberger lasse sich lernen.

Max Otte (Hrsg.):Charles P. Kindleberger. Die Weltwirtschaftskrise 1929–1939, Reihe Finanzklassiker. Finanzbuch Verlag, München 2010, gebunden, 416 Seiten, 24,95 Euro

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