© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Zwischen Amboß und Hammer
Immer feste druff: Der umstrittene Film „Tal der Wölfe – Palästina“ ist im Kino angelaufen
Doris Neujahr

Mit einem Tag Verspätung ist der türkische Spielfilm „Tal der Wölfe – Palästina“ in Deutschland angelaufen, nachdem die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) dem Streifen keine Jugendfreigabe erteilen wollte. Jetzt ist der Film mit der Altersfreigabe „ab 18 Jahren“ versehen (in den Niederlanden und Großbritannien ab 16). Offiziell geht es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen, denen der Film nicht zugemutet werden könne, weil er von ständiger Gewalt durchzogen sei und propagandistische Tendenzen aufweise. Der Zuschauer benötige detailliertes Vorwissen und die Fähigkeit, die „politischen Zusammenhänge“ einzuschätzen, in die die gezeigte Gewalt eingebettet sei.

Es ist der vierte Kinofilm seiner Art und der teuerste, der in der Türkei bisher gedreht wurde. Die Hauptfigur, der Geheimagent Polat Alemdar (Necati Sasmaz), ein türkischer James Bond, brachte bereits 2006 Amerikaner und Israelis zur Strecke, die im Irak gemordet und gefoltert hatten (JF 9/06). Der neue Film greift die Tragödie des Schiffes „Mavi Marmara“ auf. Im Mai 2010 hatten israelische Militärs auf dem Mittelmeer internationale Aktivisten gestoppt, die Hilfsgüter in den blockierten Gaza-Streifen bringen wollten. Acht Türken und ein amerikanischer Staatsbürger türkischer Herkunft kamen ums Leben. Polat Alemdar macht sich auf den Weg nach Pälästina, um den israelischen Kommandeur der Aktion zur Strecke zu bringen, einen brutalen Killer, für den arabische Menschenleben wertlos sind. Eine blutige Jagd durch das besetzte Palästina beginnt: ein Action-Film eben, nach dessen Kunstwert man nicht zu fragen braucht.

Das Gewalt-Argument der FSK ist trotzdem nur ein Vorwand. In Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ wurde permanent erschossen, verbrannt, mit dem Finger in offenen Wunden gewühlt. Deutschen Kriegsgefangenen wurde mit Baseballschlägern der Schädel eingeschlagen, danach wurden sie skalpiert. Der „politische Zusammenhang“ bereitete der FSK keine Skrupel, schließlich ging es darum, Deutsche zu bestrafen beziehungsweise ihre Grausamkeit zu zeigen.

Springers Berliner Boulevardzeitung B.Z., die sich jetzt über den antisemitischen „Hetzfilm“ ereifert, jubelte damals über das „grandios-groteske Spektakel“ Tarantinos. Die „Basterds“ bekräftigten – ungeachtet des ironischen Subtextes – die Bilderwelt, die Spielbergs „Schindlers Liste“ in die Köpfe gepflanzt hatte. Mit „Tal der Wölfe“, so die Befürchtung, könnte ihre Neutralisierung beginnen – auch in Deutschland. Jedenfalls monierte der Filmkritiker Bert Rebhandl, daß „der allgegenwärtige Davidstern in den militärischen Einrichtungen (...) aus der Opferlogik des ‘Judensterns’ herausgelöst und (...) zum Herrschaftssignifikanten“ wird. Könnte es sein, daß seit 1945 eine dialektische Einheit aus Opferrolle und Herrschaftslogik entstanden ist?

Vor fünf Jahren noch wäre dieser israelfeindliche Film aus dem Programm gefegt worden, spätestens nach einem Donnerwort des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der hat sich diesmal bedeckt gehalten und den Protest einem bis dahin unbekannten „Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus“ überlassen, dem die CDU-Nachwuchshoffnung Philipp Mißfelder vorsteht. Der Protest hatte nicht einmal einen halben Erfolg. Das zeigt, wie die veränderte demographische Situation auch die politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse unerbittlich verschiebt.

Die FSK befand sich zwischen dem Amboß des zivilreligiösen Dogmas und dem Hammer einer jungen muslimischen Population, die ein Totalverbot mit Empörung aufgenommen hätte. Der Staat hätte es gar nicht durchsetzen können, der Film wäre in die Strukturen der Parallelgesellschaft abgetaucht.

Der FDP-Politiker Serkan Tören, integrationspolitischer Sprecher seiner Partei im Bundestag, der auch im Bundesvorstand der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. sitzt, äußerte sich sibyllinisch. Er sei gegen die Aufführung des Films, denn der Holocaust sei „Teil der Identität“ Deutschlands. „Ich möchte junge Migranten dazu ermutigen und auffordern, sich mit der Geschichte Deutschlands auseinanderzusetzen. Das ist für unsere Einwanderungsgesellschaft Pflicht und Chance zugleich, wertvolle Lehren zur Verhinderung von Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung zu ziehen.“ Das holocaustfixierte Schuldbewußtsein soll ruhig noch ein wenig erhalten bleiben, um so leichter kann man den Deutschen Konzessionen abpressen.

Die Verhältnisse sind in Bewegung, und es wird Zeit, daß ein deutsches Eigeninteresse formuliert wird. Denn das ist weder in der Zivilreligion noch im „Tal der Wölfe“ gut aufgehoben.

Foto: Wilde Schießereien: Ein Action-Film, nach dessen Kunstwert man nicht zu fragen braucht

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