© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Pankraz,
J. Assmann und der Urgott im Untergrund

Eine steile These riskiert der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann in seinem neuen Buch „Religio duplex“ (erschienen im Berliner Verlag der Weltreligionen). Der Monotheismus, schreibt er, war zuerst da, er war die dem Menschen eingeborene Urreligion. Der Polytheismus, also die sprichwörtliche Vielgötterei, sei erst viel später entstanden, nämlich erst nachdem sich Staaten herausgebildet hatten. Denn die Staatsherrscher hätten je eigene Götter gebraucht, um ihre Völker im Zaum zu halten, und unter dem Druck der vielen Staatsgötter habe sich der „eine“ Gott gewissermaßen in den Untergrund zurückgezogen.

Ägyptologe Assmann demonstriert seine These natürlich am Beispiel des alten Ägypten.  Dort habe es seit Olims Zeiten immer zwei Religionen gegeben, eine mit vielen Spezialgöttern für die große, unaufgeklärte Volksmasse, und eine „wahre“ Religion mit einem einzigen Urgott, dessen Andenken aber im Verborgenen gehütet wurde, von eingeweihten Priestern, die ausdrücklich ein Mysterium aus ihm machten und dafür Extrakulte und sogar eine eigene Geheimschrift erfanden. „Religio duplex“ eben, doppelte Religion, eine für oben und eine für unten.

Nun ist die Lehre von der doppelten Wahrheit des Glaubens tatsächlich sehr alt und übrigens  keineswegs auf Ägypten beschränkt. Die „Weisen“ auf der einen Seite, das „naive“, auf Bilder und farbige Erzählungen versessene Volk auf der anderen, der – buddhistisch gesprochen – „große Wagen“ für das Volk, der „kleine Wagen“ für die Eingeweihten und wirklich Wissenden: dieses Schema kommt in allen entwickelten Religionssystemen vor. Doch es stand nirgendwo am historischen Anfang von Glaube und Religion!

Wirklich am Anfang stand der Polytheismus, sämtliche Feldforschungen unter sogenannten „Naturvölkern“ bestätigen das. Der originäre Stammesmensch ist tagtäglich unmittelbar mit allen möglichen Naturkräften konfrontiert, mit Blitz und Donner, Regen und Feuerstelle, Glück und Zufall. Sie prägen sein Leben, er ist ihnen ausgeliefert, er kann sie nicht körperlich beeinflussen, weder mit Waffengewalt noch mit werktätigem Fleiß. Also „vergöttlicht“ er sie, das heißt, er verbildlicht sie nach seinem eigenen Ebenbild und ordnet sie in Hierarchien ein nach dem Vorbild der ihn umgebenden eigenen Stammeshierarchie.

So entstehen Götterhimmel, bevölkert von Blitze schleudernden Übervätern, wohltätigen Fruchtbarkeitsgöttinnen, launischen Glücksgöttinnen, aber auch von böswilligen Spielverderbern, Kobolden, Poltergeistern, prinzipiell feindlich gesinnten Unholden. Und so entsteht parallel dazu ein ganzes ausgedehntes Arsenal religiöser Praktiken: das Gebet, die Beschwörung, das Opfer, der rituelle Tanz, die Musik, der Tempelbau, die Produktion von Götterbildern.

An den „einen“ Gott dachte man lange nicht, auch in Ägypten nicht. Der „eine“ Gott war ein spätes, ausgesprochen sekundäres Ereignis, Resultat eines beginnenden Nachdenkens über das Ganze des Weltzusammenhangs und seinen Sinn und Verstand. Man kann ihn sogar als spezifisches Phänomen von Frühaufklärung deuten (was Assmann ja auch tut). Die Funktion der Einzelgötter ist da durchschaut, zumindest naturwissenschaftlich erklärt, sie haben abgedankt, aber übrig bleibt die Idee Gottes als geistiges Prinzip, als Weltschöpfer und Weltzusammenhalter, als gewaltiges Geheimnis letztlich, das man nur respektvoll umkreisen und demütig feiern kann.

Der ureine Gott ist nicht der „Herr“ der Welt, weil er eben „alles“ ist, Unten und Oben, Himmel und Hölle, Berg und Tal. Er ist nicht einmal „Gott“ in alten polytheistischen Sinne,  sondern Schicksal, Geschick, Verhängnis, Brahma, Moira, verschleierte Isis. Die alten Götter, auch die höchsten, Osiris, Zeus, Jupiter, mit denen man rechten, die man um Rat anflehen konnte und von denen man gegebenenfalls zerschmettert wurde, sie waren der Moira eindeutig nachgeordnet. Sie waren zwar mächtig, aber nie und nimmer allmächtig. Auch über ihnen waltete das Schicksal, die Götterdämmerung.

Die alten Kulturen haben die Idee des Monotheismus sehr wohl gekannt – und haben sie verworfen. Ihr realistischer Blick sah keinen Raum für einen Gott, der einerseits Ursache für alles und andererseits und im selben Takt Entscheidungsträger, Richter und Gerechtigkeitsfanatiker hätte sein können. So beförderten sie ihn (siehe das alte Äypten) taktvoll in den Untergrund der Mysterienspiele.

Denn die Priester wußten: Wenn man das Volk direkt und unverziert mit dem „Geheimnis an sich“ konfrontiert, so reagiert es mit völligem Unverständnis, vielleicht sogar mit Widerspenstigkeit und Aufruhr. Jegliche Ordnung, Schule und Staat werden möglicherweise zum Einsturz gebracht, und deshalb müssen die Bilder und Geschichten in Ehren gehalten und über die Zeiten hinweg geduldig weitergemalt und weitererzählt werden. Das „Geheimnis  an sich“ darf darüber jedoch nie in Vergessenheit geraten, schon deshalb nicht, weil es zur Aufrechterhaltung der Ordnung nicht weniger nötig ist als die Bilder und Storys.

Aus dem „Geheimnis an sich“, personifiziert im göttergleichen Pharao, so lehrten die Eingeweihten, fließen Gesetz und Moral, es wird benötigt, um die Bilder und Geschichten behutsam zu redigieren und neuartigen Situationen anzupassen. Das und nichts anderes war ja auch das Anliegen der Frühaufklärer, der Spinoza und Leibniz, Montesquieu, Voltaire, Lessing. Es waren „Deisten“, überzeugte Hüter des Geheimnisses, die sich scharf von den nachfolgenden Atheisten à la La Mettrie oder Holbach abhoben.

Freilich, ob der geheime Gott, wie Assmann zu hoffen scheint, je der große, Frieden stiftende Allgemeingott sein wird, auf den sich alle modernen Völker eines nahen Tages einigen  – das wagt Pankraz zu bezweifeln. Dieser Gott ist zu intellektuell, zu ausgedacht, zu lebensfremd. Die jüngsten Vorgänge in Ägypten mit ihren Plünderern und Mumienräubern beweisen es gerade wieder einmal.

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