© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Gier, Unfähigkeit, Dummheit
USA: Kongreß-Untersuchungsbericht benennt Ursachen der Finanzkrise
Marco Meng

Die Finanzkrise war kein unvorhersehbares Ereignis, sondern das Ergebnis von Gier, Mißmanagement und politischer Tatenlosigkeit. Zu diesem vernichtenden Urteil kommt der vergangene Woche vorgelegte Abschlußbericht der von US-Präsident Barack Obama eingesetzten Kongreß-Untersuchungskommission (FCIC). Ursache des Crashs waren nicht Mutter Natur oder durchgeknallte Computermodelle, sondern zockende Banker, nichtstuende Politiker und laxe Regulierungsbehörden. Die Tragik dabei sei, daß viele Warnzeichen ignoriert worden seien, so die Erkenntnis aus mehr als 700 Zeugenbefragungen. „Wir kommen zu dem Schluß, daß diese Finanzkrise vermeidbar gewesen wäre“, heißt es im Financial Crisis Inquiry Report.

Die FCIC sieht vor allem den ehemaligen Präsidenten George W. Bush und den Chef der Notenbank Fede­ral Reserve (Fed), Ben Bernanke, sowie dessen Vorgänger Alan Greenspan als Hauptschuldige, weil sie die Politik auf Deregulierung und zum Abbau staatlicher Aufsicht gedrängt hätten. Letztlich habe schon der frühere US-Präsident Bill Clinton (1993 bis 2001) mit seinen Gesetzesänderungen im Finanzwesen den Grundstein für die Krise gelegt. Die Clinton-Regierung habe dafür gekämpft, daß die komplizierten und hochriskanten Derivate-Produkte keiner Kontrolle und Aufsicht unterworfen worden seien. Die Ratingagenturen hätten ihrerseits durch eine allzu positive Bewertung von Risiken die Finanzkrise begünstigt.

Grobe Versäumnisse macht der Bericht bei der US-Börsenaufsicht Security and Exchange Commission aus. Die SEC habe es trotz riskanter Geschäfte der Banken unterlassen, höhere Kapitalreserven einzufordern. Den Grund für das laxe Vorgehen sieht der Ausschuß im „fehlenden politischen Willen“, die Finanzindustrie stärker an die Leine zu legen. Beeinflußt worden sei diese Haltung offenbar vom Lobbyismus der Banken, die dafür zwischen 1999 und 2008 insgesamt 2,7 Milliarden Dollar ausgegeben hätten. Die „Gier“ habe die Banken dann veranlaßt, undurchsichtige Finanzprodukte auf den Markt zu werfen, und als dann die Immobilienblase platzte, sei „Panik“ ausgebrochen. Dazu habe beigetragen, daß man zwar die Investmentbank Bear Stearns mit Fed-Hilfe gerettet habe, dann aber ein paar Monate später Lehman Brothers pleite gehen ließ. Diese „inkonsequente Reaktion“ habe das Chaos an den Finanzmärkten befeuert.

Und heute? Nach Ansicht der FCIC haben die USA bislang nichts dazugelernt: „Unser Finanzsystem ist in vielerlei Hinsicht unverändert von dem, was beim Beginn der Krise existierte.“ Die Katastrophe auf den Finanzmärkten, die zur schlimmsten Rezession der Nachkriegsgeschichte geführt hatte, könne sich deshalb jederzeit wiederholen. Für manche Banker könnten die Enthüllungen übrigens direkte Konsequenzen haben. Die Kommission habe einige zwielichtige Fälle an die Justizbehörden weitergereicht, erklärte FCIC-Chef Phil Angelides bei der Vorstellung des Berichts in Washington. Bisher ermitteln die US-Gerichte nicht direkt gegen die genannten Behörden. Nur die New Yorker Börsenaufsicht SEC verdonnerte Finanzfirmen wie Goldman Sachs zu teils hohen Geldstrafen.

Die Auftritte früherer Wall-Street-Größen vor der Kommission waren dabei ein Trauerspiel von Ausflüchten und Krokodilstränen gewesen. „Es tut mir leid, daß unsere Managementteams, allen voran ich, den beispiellosen Marktkollaps, der uns bevorstand, wie so viele andere nicht sehen konnten“, so etwa Charles Prince, damals Chef der Citigroup. Unter Prince’ Ägide hatte die einst größte Bank der Welt 64 Milliarden Dollar an Marktwert verloren. Sie konnte nur mit Staatsbeihilfen überleben. Für diese Meisterleistung bekam er trotzdem 12,5 Millionen Dollar Abfindung und 68 Millionen Dollar Aktien sowie 1,7 Millionen Dollar Pension. Alan Greenspan resümierte kaltschnäuzig: „Das ist ein von Natur aus schwieriger Job.“

Überschattet wurde die Vorlage des FCIC-Berichtes von einem Streit innerhalb der zehnköpfigen Führung. Nur die sechs Demokraten in der Kommission akzeptierten die geschilderte Sichtweise über die Auslöser und Konsequenzen der Krise – die vier Republikaner blieben der Pressekonferenz fern. Sie wollen alternative Berichte vorstellen.

Und so geht an der Wall Street alles wieder seinen staatskapitalistischen Gang. Die USA sind offenbar nicht fähig, Lehren aus der schwersten Krise seit 1929 zu ziehen. Auch Bernanke geht mit seiner laxen Fed-Geldpolitik (ohne die die Exzesse nicht möglich gewesen wären) bereits wieder voll ins Risiko. Zyniker geben deshalb zu bedenken, ob die US-Politik wirklich fahrlässig gewesen war, oder ob es alles vielleicht vorsätzlich geschah: die Finanzkrise und die neuen US-Staatsanleihen verdeutlichten nur, wie die USA der Welt ihre Megaschulden aufbürden konnten.

Derweil sorgt ein weiterer Bericht für Aufsehen. Zwei Jahre nach Einrichtung des Bankenrettungsfonds „Tarp“ hat dessen Chefkontrolleur eine vernichtende Bilanz gezogen. Zwar hätten die Milliardenhilfen für Banken die Märkte beruhigt, so Neil Barofsky in seinem jüngsten Quartalsbericht. Die Zusicherung der Regierung, große Institute nicht fallenzulassen, sei aber ein Anreiz, „auch künftig hohe Risiken einzugehen“. Dies sei, so wörtlich, „ein Rezept für Katastrophen“.

Der Report der vom US-Kongreß installierten „Financial Crisis Inquiry Commission“: www.fcic.gov/report

Foto: Ex-Präsident George W. Bush und Fed-Chef Ben Bernanke (r.): Schon Clintons Deregulierungen legten den Grundstein für die Krise

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