© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Finanzpolitischer Tsunami im Mittelmeer
Spanien: Katalonien droht die Zahlungsunfähigkeit / Immobilienkrise längst nicht ausgestanden
Michael Ludwig

Die Gefahr, daß sich die tektonischen Erschütterungen, die während der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise auch die Iberische Halbinsel erfaßten, in einem finanzpolitischen Tsunami entladen, wird immer größer. Während Spaniens sozialistischer Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero in Madrid alle Hände voll zu tun hat, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen, brauen sich in der Provinz neue Unwetter zusammen. Die vorläufig letzte Hiobsbotschaft: Katalonien, einst die wirtschaftlich erfolgreichste Region im Nordosten des Landes, droht die Zahlungsunfähigkeit.

In einer Brandrede vor dem Parlament in Barcelona legte der amtierende Regierungschef der autonomen Provinz, Artur Mas i Gavarró, die Zahlen auf den Tisch – und sie geben tatsächlich Anlaß, das Schlimmste zu befürchten. Derzeit verfügt die Landesregierung, die von dem liberal-konservativen und gemäßigt-nationalistischen katalanischen Parteienbündnis CiU gestellt wird, nur noch über ein Finanzpolster für die nächsten zwei Monate. Sollte bis Ende März kein Nachschub an liquiden Finanzmitteln verfügbar sein, wird Katalonien seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Um den Bankrott abzuwenden, versuchte Artur Mas weitere Kredite aufzunehmen, doch dagegen sperrt sich die Zentralregierung in Madrid. Ihr zuständiger Staatssekretär Carlos Ocaña verwies auf die Schuldenbremse, die auch Spanien eingeführt hat, und verweigerte seine Zustimmung zu einer zusätzlichen Kreditaufnahme.

Der Regierung von Katalonien bleibt augenblicklich nichts anderes übrig, als eisern zu sparen. Rund vier Milliarden Euro sollen aus dem Haushalt dieses Jahres herausgeschnitten werden – das sind immerhin zehn Prozent des gesamten Etats. Treffen wird es vor allem die beiden Ministerien Gesundheit und Erziehung; wie hoch die Einsparungen ausfallen werden, soll in Kürze bekannt gegeben werden. Sicher ist, daß geplante Baumaßnahmen an Krankenhäusern und Schulen aufgeschoben und der Kauf neuer Geräte eingefroren wird. Aber die katalanische Regierung will nicht nur den Gürtel enger schnallen, sie will auch Madrid zur Kasse bitten.

So forderte Mas eine Milliarde Euro aus dem Staatsonds für Wettbewerbsfähigkeit und wies auf die seiner Meinung nach strukturelle Ungerechtigkeit des spanischen Finanzsystems hin. Mas’ Sprecher, der Ökonom Francesc Homs, erklärte bitter: „Die Regierung in Madrid lädt ein, und wir zahlen die Zeche.“ Als Beispiel nannte er das umstrittene Ausländergesetz, das in der Hauptstadt beschlossen wurde, dessen finanzielle Folgelasten wie die gesundheitliche Betreuung der Zuwanderer aber von den Provinzen getragen werden müßten.

Die oppositionelle konservative spanische Volkspartei (PP) nutzte die öffentliche Diskussion über den desolaten Zustand der Finanzen zu einer General­abrechnung. Die regionale PP-Chefin Alicia Sánchez-Camacho Pérez legte den Finger auf die Wunde: Katalonien hat mit 22,6 Milliarden Euro die höchste Verschuldung aller spanischen Provinzen; es ist kein Ende der wirtschaftlichen Rezession abzusehen; eines von vier landesweiten Insolvenzverfahren fand 2009 in Katalonien statt; mehr als 10.000 Unternehmen haben in den letzten vier Jahren aufgegeben; die Arbeitslosigkeit ist mit 700.000 Erwerbslosen auf einen historischen Höchststand geklettert.

Nur wenige Tage nach diesen beunruhigenden Meldungen machte eine weitere Sorgenregion auf sich aufmerksam – die Balearen, darunter auch Mallorca, der Deutschen liebste Urlaubsinsel. Die Regionalregierung in Palma de Mallorca braucht dringend 200 Millionen Euro, die sie sich nun am Finanzmarkt leihen möchte. Das wäre zunächst nichts Ungewöhnliches, aber die Mittelmeerinseln haben trotz der sprudelnden Einnahmequelle Tourismus ausgesprochen schlecht gewirtschaftet. 2006 hatte die Inselregion noch 1,6 Milliarden Euro Schulden, Ende 2009 waren es schon 3,3 Milliarden, was einer Verdoppelung entspricht. Damit rangieren die Balearen hinsichtlich der Pro-Kopf-Verschuldung nach Katalonien auf Platz zwei. Die Verantwortlichen haben schon einen Notplan aufgestellt – so soll der internationale Flughafen in Palma nun teilprivatisiert werden, um so an frisches Geld zu kommen.

Wenn alle finanziellen Stricke reißen, muß Madrid in Vorlage gehen, aber die Zentralregierung weiß selbst nicht, wie sie ihre eigene Finanzkrise meistern soll. Dieser Tage trat die spanische Finanzministerin Elena Salgado Méndez vor die Mikrofone und erklärte, daß die Kernkapitalquote der Banken auf acht Prozent erhöht werden müsse, um die Folgen der geplatzten Immobilienblase aufzufangen. Vor allem die Sparkassen (Cajas) leiden darunter, daß Wohnungs- und Hauskäufer ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können, was angesichts einer Arbeitslosenquote von über 20 Prozent nicht verwundert.

Die sozialistische Ministerin schätzt den Finanzbedarf dafür auf rund 20 Milliarden Euro, eine Zahl, die nach Ansicht der Ratingagentur Moody’s viel zu niedrig angesetzt ist; sie hält einen Kapitalbedarf zur Rekapitalisierung des spanischen Bankensystems von 89 Milliarden für erforderlich. Die spanische Zentralbank schätzt den Umfang der faulen Immobilenkredite auf rund 180 Milliarden Euro. Sollte diese Summe auch nur annähernd fällig werden, dann bleibt Premier Zapatero nichts anderes mehr übrig, als unter den sogenannten Euro-Rettungsschirm zu flüchten – eine Flucht, die auch für den deutschen Steuerzahler schwere Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die spanische Schuldenlast ist größer als die von Griechenland, Irland und Portugal zusammen.

Foto: Ferienanlage in Alcúdia auf Mallorca: Die Balearen rangieren bei der Pro-Kopf-Verschuldung nach Katalonien auf Platz zwei in Spanien

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