© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Integration und Antisemitismus
Deutschlands verpaßte Chancen
Dieter Stein

Der Sprecher der israelischen Streitkräfte, der gegenüber der internationalen Presse die Interessen seiner Armee vertritt, hat ein Buch über Deutschland geschrieben. Thilo Sarrazin verfaßte eine intellektuelle Analyse über die Selbstabschaffung unseres Landes von der Höhe des Schreibtisches eines Angehörigen der politischen Funktionselite. Arye Sharuz Shalicars Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ ist hingegen ein Bericht von der Straße, quasi aus dem Schützengraben der brutalen multikulturellen Realität.

Der kleine Shalicar wächst im Berliner Problembezirk Wedding auf. Das Brisante, Shalicar ist Jude, der Wedding aber weist einen höheren Ausländeranteil auf als das berüchtigte Berlin-Neukölln – und überwiegend sind es Muslime. Zunächst fällt Shalicar wegen seines orientalischen Aussehens dort nicht auf. Aber dann erlebt er die volle Wucht des moslemischen Antisemitismus, der sich seit Jahrzehnten in unseren Parallelgesellschaften zusammenbraut und der nur die Spitze des Eisbergs der Verachtung darstellt, die in den multikulturellen Kiezen unter vielen Muslimen gegenüber allen, die anders sind, heranwächst (siehe Interview Seite 3). Und Shalicars Buch zeigt noch mehr: Es ist eine Chronologie des Scheiterns.

Deutschland, in das sich der Junge eigentlich integrieren sollte, erreicht ihn gar nicht: „Ich kannte ja kaum Deutsche“, resümiert Shalicar heute lakonisch den Totalfehlschlag unseres Einwanderungsexperiments. Shalicar beklagt eindrücklich das Fehlen einer nationalen Leitkultur, die ihm den Weg nach Deutschland hätte weisen können – zu der das Land, das so sein Land hätte werden können, aber nicht den Mut hat. In der Schule hört er von Anne Frank, doch diese Form der Identitätsstiftung bleibt dem Zwölfjährigen verschlossen, statt dessen begeistert er sich für die israelischen Fallschirmjäger. Stolz der deutschen Gesellschaft auf ihre Armee? Fehlanzeige. Und so spürt er später als Soldat der Bundeswehr auch nichts von dem Stolz, den er empfindet, als er noch viel später die israelische Uniform anlegen wird.

Frappierend auch das Versagen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, deren Aufgabe es ja ist, für jüdische Einwanderer die Brücke nach Deutschland zu sein. Auch sie enttäuscht Shalicar immer wieder. Als er schließlich am Holocaust-Gedenktag stundenlang der Verlesung der Namen der ermordeten Berliner Juden beiwohnt, muß er erleben, wie Rabbiner und Gemeindevorstände sich währenddessen munter unterhalten, laut lachen und bald in einer Limousine davonbrausen. Shalicar bricht mit der Gemeinde – und Deutschland verliert den Wettlauf um den jungen Patrioten auf der Suche nach einem Vaterland endgültig. Ein Buch, das uns den Spiegel vorhält. Wir müssen hineinsehen.

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