© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Der Flaneur
Göttlicher Boykott
Harald Harzheim

Filmhistoriker sind meist unattraktive Menschen“, erklärte mir eine Drehbuchautorin, „das beginnt schon in deren Jugend: Während Schulkameraden mit ihren Freundinnen ausgehen, sitzen die einsam im Kino.“ Eine steile These, aber vorige Woche begegnete mir ein lebender Beweis: In einem Kinocafé traf ich den Filmpublizisten Georg C., Mittdreißiger und natürlich ewiger Single.

Diesmal schien er besonders deprimiert. Vorsichtig fragte ich nach seinem Leid. Georg trank zügig seinen Cocktail, dann jammerte er los: „Eine Freundin lud mich zu ihrer Geburtstagsparty ein. Und weißt du was: Jessica Schwarz soll auch kommen!“ Eigentlich ein Grund zur Freude, schließlich ist die Ex-Viva-Moderatorin, TV- und Filmschauspielerin sein großer Schwarm. Ein riesiges Schwarz-Archiv, voll mit Fotos, Interviews, Filmen findet sich in Cs Wohnung. „Dann nichts wie hin und rede mit ihr“, riet ich ihm. „Was für eine Gelegenheit!“

„Für eine Diva gilt gleiches wie andere Götter. Der Legende nach muß man sie beachten.“

Aber der Filmpublizist schüttelte nur traurig den Kopf: „Weißt du, soviel habe ich über sie schon gesehen und gelesen! Und was weiß sie über mich? Nichts! Außerdem steht sie überall im Mittelpunkt, während mich jeder übersieht. Dieser Frau gegenüberstehen? Da krieg ich kein Wort raus, laufe nur über vor Emotion. Frau Schwarz wird sich überrumpelt fühlen, sich langweilen und einfach weggehen.“ Georg stammelte und überschlug sich. Da war wirklich nichts zu machen. Man konnte ihm nur noch eine Beruhigungstablette schenken.

 Für eine Diva gilt gleiches wie für andere Götter. Die Legende sagt, daß Gottheiten nicht mißachtet sein wollen. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt: Vielleicht mögen sie keine Zudringlichkeit. Wenn Hölderlin den Weggang der Götter beklagte, sollte man sie bloß nicht suchen, sondern einfach links liegenlassen, jede lästige Verfolgung meiden. Vielleicht kehren sie dann ganz von selber zurück? Aber wer hat die Geduld zu solchem Boykott?

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