© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Einer wie Rainer
Die RTL-Dschungelcamp-Bewohner spiegeln die Konsumenten des Unterschichtenfernsehens – geldgeil, mittelmäßig, voyeuristisch
Jutta Winckler

Der Wetterbericht in Köln-Deutz meldet: trüb, ungemütlich, null Grad. In Australien, wo sich Schnabeltier, Emu und Aborigines „Good Night!“ sagen, ist es hingegen heiß, feucht, tropisch. Genau hier spielt die fünfte Staffel des „Dschungelcamps“ von RTL, die bereits ihrem Ende entgegenfiebert. Im Schnitt sahen die ersten zehn Folgen der fünften Staffel von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ 6,93 Millionen Zuschauer. Das entspricht zirka 40 Prozent der werberelevanten Zielgruppe, also jenen Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren. Der Quotenrekord einer Einzelfolge liegt bei 8,66 Millionen Zuschauern; der Marktanteil beim Gesamtpublikum bei 35,1 Prozent. Teilweise flimmert Camp-TV auf jeder zweiten deutschen Mattscheibe.

Die Idee dahinter stammt – wie so oft im hiesigen Privatfernsehen – aus dem angloamerikanischen Senderaum mit seinem Pool an Medienkreativen, die Teddy Adorno und Maxe Horkheimer in ihrem Verdikt „Aufklärung als Massenbetrug“ zu diffamieren versucht hatten. „I’m a celebrity, get me out of here!“ – schimpft sich das britische Originalformat des Senders ITV 1, das die Einfallspinsel der heimischen Kulturindustrie seit 2004 in unregelmäßiger Folge kopieren. Die Ex-Pilotin Sonja Zietlow und der schwule Fernsehkomödiant Dirk Bach moderieren das Spektakel.

Die aktuelle Staffel hat bemerkenswerte Typen ins Dschungelcamp gespült, das nach dem Prinzip der zehn kleinen Negerlein verfährt. Der mit Abstand wohl prominenteste Camper heißt Rainer Langhans, der den übrigen zehn an Grips und Cleverneß weit überlegen ist. Rainer macht Kopfstände auf seinem aus Übersee eingeführten Kopfstandbänkchen, das verstärkt die Durchblutung des Hirns. Der Kommunenerfinder aus dem vorigen Jahrtausend, der mit vier Gespielinnen in München in getrennten Wohnungen immer noch die Vielpartnerschaft praktiziert, bekennt freimütig: „Ich habe seit dreißig Jahren keinen Sex mehr.“

Hingegen ist Sarah Knappik ein blondes Möchtegern-Modelchen aus „Good old Germany“, das sich weniger knappik als superzickig gibt und damit das gesamte RTL-Millionen-Publikum gegen sich aufbrachte. Regelmäßig verdonnerten die Zuschauer Sarah, lebende Insekten roh zu verspeisen, das Blondköpfchen in einen Haufen krabbelnder Maden zu stecken, in dreckigem Wasser nach glitschigen Aalen zu greifen, in lächerliche Kostüme zu schlüpfen, um darin herumzutapern wie ein Mongo auf Freigang. Die präzivilisatorischen Zumutungen wollten kein Ende nehmen, so daß sie sich und die anderen Camper ständig auf Schmalkost setzte, denn die Proviantzufuhr für alle bemißt sich nach dem Prüfungserfolg des jeweiligen Probanden.

Ein wenig Schmalkost bekam der inzwischen von den Zuschauern rausgewählten Eva Jacob aus der Langhans-Generation gar nicht schlecht. Bei ihr handelt es sich offenbar um die Rudimente eines sächsischen Schwestern-Quartetts, das als „Jacob-Sisters“ die alte Bundesrepublik tingelnd unsicher machte – mit einem dreifachen Alleinstellungsmerkmal: ein stark entwickelter Busen, in imposantem Kontrast dazu pygmäenhafte Kleinwüchsigkeit und vier schneeweiße Zwergpudel. Busen und Kleinwüchsigkeit sind Eva verblieben, der lebende Pudel wich einem Stofftier.

Dann ist da noch Katy Karrenbauer. Sie brillierte in einer Frauenknast-Seifenoper, bis windige Renditeversprechen ihr Portemonnaie leerten. Nun soll RTL helfen. Ähnliche Motive dürfte der distinguierte Mathieu Carrière verfolgen. Ihn würde der Betrachter am wenigsten in einem solch dubiosen Umfeld erwartet haben und doch: Mathieu, der alerte Großmime, die idealtypische Thomas-Mann-Besetzung, tippelt mit nackten Füßen über Lichtungen, Hängestege und schlammige Pfade, die virtuelle Wildnis, wie sie der örtliche Subunternehmer für die Fernsehkameras präpariert hat. Neben ihm und Langhans schrumpfen die C- und D-Promis im Rest des Lagers auf Schlumpfgröße.

Der Unterhaltungswert des Gruppengeschehens ist gering, meist sitzt man in knallroten ärmellosen Jäckchen beisammen, deren Aufdruck an nordamerikanische Sträflingskleidung erinnert. Das Camp soll schließlich keine Dampferfahrt sein, vielmehr wird dem Endverbraucher am Gerät gestattet, seine niederen voyeuristischen Triebe und Gelüste ein wenig auszuleben. Der Schönling im Dreck, das Model ohne Make-up, „Promis“, die sich wegen Knete für keine Absurdität zu schade sind, geldgeil, zu allem bereit, zu nix in der Lage, das volle Programm des Menschlich-Allzumenschlichen. Die kleine RTL-Urhorde in der großen des 21. Jahrhunderts bietet Anlaß für hundert sozialtheoretische Analysen. Was soll’s? Eine Rose ist eine Rose und RTL ist RTL. Glücklich, wer mental in der Lage ist, derlei im Raum stehen zu lassen und zwar ohne kulturkritischen Pawlow-Reflex.

Die moderne Lebenswelt schafft den Massen immer mehr Freizeit, die verlebt werden will; zugleich wächst die Zahl derer, die diese langen Weilen aus sich selbst heraus zu füllen vermögen. Unter diesen Bedingungen erscheint es segensreich, daß die Massenkommunikationsmittel wie das Fernsehen hier ihr Betätigungsfeld gefunden haben. Zum Nutzen aller, die daran beteiligt sind – und gottseidank abschalten können.

www.dschungel-camp.com

Foto: Nervensäge Sarah Knappik: Die Pose täuscht – die 24jährige war mehr „Schlange“ als „Eva“ und verließ das RTL-Paradies von den anderen Dschungelcampern erzwungen „freiwillig“

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