© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Pankraz,
der Jasmin und die duftende Revolution

Revolutionen wissen selten über sich bescheid. Ob sie eine waren oder doch nur ein momentaner Straßenkrawall oder ein spektakulärer Regierungswechsel, stellt sich immer erst hinterher heraus. So verhält es sich auch mit den Vorgängen in Tunesien. Es gab und gibt bis heute Straßendemonstrationen, der bis dato allmächtige Präsident verließ fluchtartig das Land, eine „Übergangsregierung“ wurde gebildet, „wirklich freie Wahlen“ wurden versprochen – aber was daraus werden wird oder auch nur werden soll, weiß keiner der Beteiligten.

Die Ratlosigkeit der Revolutionäre ist diesmal sogar besonders groß. Man erkennt das etwa an dem Symbol, das sie ihrer Bewegung gegeben haben, dem Jasmin. Vergleichbare Revolutionen in anderen Ländern bevorzugten bekanntlich kräftige Symbolfarben, sie waren knallrot oder tiefgrün oder – wie seinerzeit in der Ukraine – grell rot-gelb, nämlich orangefarben. Doch was ist mit dem Jasmin? Der ist ja an sich ein eher unauffälliges Kletterpflänzchen aus Hochgebirgs- oder Halbwüstenlagen, bekannt weniger wegen seiner Farben als wegen seiner Düfte.

Jasmin ist, mehr noch als Lavendel, die klassische Parfüm- und Aromapflanze. Sein Duft ist nicht eindeutig, riecht mal so und mal so, aber immer irgendwie verführerisch und zu vielen Assoziationen und Exkursen einladend. Im Orient und in China werden schon seit Jahrtausenden sogenannte ätherische Öle aus den Blüten des Jasmin gewonnen und in den Handel gebracht. Sein Name kommt aus dem Persischen  und heißt soviel wie „wohlriechendes Öl“. Insofern paßt er blendend zu den gegenwärtigen Vorgängen in Tunis und Umgebung.

Noch nie ist eine Revolution allerseits so begrüßt oder zumindest so wenig kritisiert worden wie die tunesische Jasmin-Revolution. Selbst die (bisher) erklärten Freunde des vertriebenen Präsidenten Ben Ali, also die anderen Präsidialherrscher oder Könige des Maghreb, Mubarak von Kairo, Gaddafi von Tripolis, Bouteflika von Algier, Mohammed VI. von Marokko – sie alle senden Zeichen des Verständnisses aus. Ben Ali, so tönt es leise aus ihren Amtsstuben, habe es „zu weit getrieben“, habe die konstitutionellen Umrahmungen allzu offen mißachtet, sich allzu ungeniert bereichert. So dürfe sich kein wahrer Herrscher benehmen.

In Europa ist die Begeistetung für „Jasmin“ mittlerweile geradezu stürmisch. Man ist hier im Augenblick ja äußerst revolutionär gestimmt, möchte sich „empören“ (weiß nur noch nicht so recht, worüber), kehrt den „Wutbürger“ heraus und hofft, daß Jasmin irgendwelche neuen Impulse freisetzt, irgendwelche neuartigen Perspektiven aufreißt. Daß die eigentlichen Gewinner von Jasmin letztlich die radikalen, terrorgeneigten Islamisten sein und daß die Zeiten deshalb gerade für Europa sehr unbequem werden könnten, möchte keiner so recht glauben.

Schließlich kenne man Tunesien als gemütliches Urlaubsland. Es gebe dort viel weniger Anschläge auf europäische Touristen als beispielsweise in Ägypten. Und daß die Leute mehr Freiheit und niedrigere Lebensmittelpreise haben möchten, gehe doch völlig in Ordnung. Und dann die vielen netten, gut erzogenen, französisch sprechenden jungen Leute in Tunis und auf Djerba! Es seien zwar Moslems, aber von ihnen werde doch keiner je Bomben schmeißen! Mit denen könne man unbesorgt auf Augenhöhe kommunizieren.

Genau betrachtet sind es nun aber gerade diese (relativ) gut erzogenen jungen Leute, von denen eminente internationale Gefahren ausgehen werden, speziell für Europa. Denn es gibt ihrer, um es klipp und klar zu sagen, zu viele. Tunesien ist eines der Länder mit den höchsten Geburtenraten der Welt, es hat seine Bevölkerung in den letzten vierzig Jahren mehr als verdoppelt, ohne sich – wie auch überall anderswo im Maghreb und in der arabischen Welt – um die sozialpolitischen Folgen dieser Entwicklung zu kümmern. Eben dies ist die Grundursache für die Jasmin-Revolution.

Es handelt sich, mangelnde Freiheit her, überhöhte Lebensmittelpreise hin, eindeutig um eine demographische Revolution, und zwar um eine demographische Revolution von äußerster Dynamik. Revolutionen sind keine Phänomene der Hinfälligkeit und der nackten Not, sondern brechen aus, wenn sich ein Bevölkerungsteil stark und überlegen genug wähnt, um gewissermaßen reinen Tisch zu machen und grundsätzlich neue soziale Verhältnisse herzustellen. Just dies ist in Tunesien der Fall.

Das Land quillt über von lebensdurstigen, aggressiv gesinnten jungen Leuten, die endlich nach oben kommen wollen. Auf jeden Fall wollen sie einen Job haben, eine auf Verdienst und mentale Genugtuung gestellte Dauerbeschäftigung. Doch Tunesien ist von seiner Größe und von seiner natürlichen Binnenstruktur her gar nicht in der Lage, so viele Jobs zu schaffen, wie unbedingt nötig wären. So etwas konnte weder der gestürzte Ben Ali schaffen, noch wird es eine neue, mag sein frei gewählte, Regierung schaffen, ob sie nun islamistisch oder halbwegs gemäßigt-säkularistisch sein wird.

Was sich statt dessen anbietet, ist Auswanderung. Flucht in die ehemalige Kolonialmacht Frankreich und nach Europa überhaupt, Eindringen in deren opulente Sozialsysteme. Marseille, die zweitgrößte Stadt Frankreichs, ist ohnehin schon in maghrebinisch-islamischer Hand, bald wird es vielleicht  die ganze Riviera von St. Tropez bis Monaco sein, inklusive der berühmten Parfüm-Region um das Städtchen Grasse, wo noch die blauen Lavendelfelder das Landschaftsbild prägen.

Um es noch einmal im Stil der Wohlgerüche und der ätherischen Öle zu sagen: Wenn es so schlimm kommt, wie zu befürchten steht, dann könnte die Jasmin-Revolution von Tunis der Anfang vom Ende der Lavendelfelder von Grasse sein. Der Lavendel würde auf breitester Front vom Jasmin verdrängt, und das klingt natürlich viel romantischer, als es in Wirklichkeit wäre. Einziger Trost: Patrick Süskind und Tom Tykwer könnten schon mal einen neuen Film vorbereiten,  „Das Parfüm, zweiter Teil“.

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