© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Endloser Terror
Rußland: Bombenanschlag auf Moskauer Flughafen
Jörg Fischer

Am Montag mittag startete in Düsseldorf eine Lufthansa-Maschine mit 59 Passagieren nach Moskau. Auf halber Strecke mußte sie umkehren – um 16.32 Uhr Ortszeit hatte eine Bombenexplosion ihr Flugziel, den Moskauer Großflughafen Domodedowo, erschüttert. 35 Menschen starben, über 170 wurden verletzt. Unter den Toten finden sich auch ein Deutscher und zahlreiche andere Ausländer.

Ob es ein oder zwei Selbstmordattentäter waren oder der Anschlag gar einem Flugzeug galt, war am Dienstag noch nicht klar. Fest steht aber, daß Sicherheitsexperten mit einer neuen Bluttat rechnen konnten. Bereits vor dem Jahreswechsel hatten sich zwei „Schwarze Witwen“ (junge muslimische Frauen, deren Männer oder Brüder im Kaukasuskrieg starben) in Moskau aufgehalten, um Terroranschläge zu begehen. Doch eine der Terroristinnen sprengte sich zu Silvester vorzeitig selbst in die Luft. Ihre Komplizin wurde gefaßt.

Ob verschärfte Kontrollen das Blutbad verhindert hätten, wird nun heiß diskutiert, doch in einer 14-Millionen-Agglomeration wie Moskau ist absolute Sicherheit eine Illusion. Und daß es ein politischer Anschlag war, liegt auf der Hand. Der Konflikt zwischen dem russischen Zentralstaat und seinen nach Unabhängigkeit strebenden muslimischen Kaukasusprovinzen tobt seit Jahrhunderten – und seit zwölf Jahren wird dieser asymmetrische Krieg, der von beiden Seiten mit unerbittlicher Härte geführt wird, auch im russischen Kernland ausgetragen.

Kurz nach Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Sommer 1999 gab es erste Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Moskau, Buinaksk und Wolgodonsk, bei denen über 300 Bewohner starben. Wie viele Menschen bei den Gefechten und „Säuberungsaktionen“ in den folgenden Jahren im Kaukasus umkamen ist nicht bekannt. Der erste Tschetschenienkrieg (1994 bis 1996) soll etwa 80.000 Menschen das Leben gekostet haben. 2002 überfallen dann 41 islamische Kämpfer (darunter mehrere Frauen) unter Führung des Tschetschenen Mowsar Barajew die Besucher des Moskauer Musicals „Nord Ost“ und nehmen etwa 800 Geiseln. Bei der Befreiungsaktion sterben 129 Menschen (JF 45/02).

2004 wird dann zum blutigsten Jahr für die (pro-)russische Zivilbevölkerung: Im Februar tötet ein Selbstmordattentäter in der Moskauer U-Bahn etwa 40 Fahrgäste. Im August 2004 werden zwei russische Flugzeuge durch Bomben zum Absturz gebracht, 90 Menschen sterben. Im September überfallen 32 Islamisten eine Schule in Beslan (Nordossetien) und nehmen über 1.100 Geiseln (JF 38/04). Die anschließende Befreiungsaktion kostet 362 Menschenleben.

Auf russische Anti-Terror-Aktionen antworteten die Untergrundkämpfer mit neuem Terror: Bei dem Bombenanschlag im Juni 2005 auf einen Zug bei Moskau waren „nur“ 42 Verletzte zu beklagen, der Überfall auf die südrussische Stadt Naltschik kostete hingegen 33 russischen Sicherheitskräften und zwölf Zivilisten das Leben. 2006 fordert ein Bombenattentat auf einen Moskauer Markt zehn Tote und mehr als 50 Verletzte. 2009 sterben bei einem Anschlag auf den Expreßzug Moskau-St. Petersburg 26 Fahrgäste, etwa 100 werden verletzt. Im März 2010 rissen dann zwei „Schwarze Witwen“ mit ihren Bomben 39 Moskauer Metro-Passagiere in den Tod. Ein Ende der Gewaltspirale ist nicht abzusehen. Selbst wenn auf beiden Seiten moderatere Kräfte agieren würden – wie sollte ein Kompromiß aussehen? Ein unabhängiges Kaukasus-Emirat am Südrand Rußlands ist schwer vorstellbar.

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