© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Der Fall Helmut Metzner
Die Struktur des Verrats
Thorsten Hinz

In dem Buch „Die Geschichte des Verrats“ zitiert die Journalistin Margret Boveri den englischen Politiker und Deutschenhasser Robert Vansittart, der 1939 spottete: „England braucht in Deutschland keinen Secret Service mehr; die Deutschen selbst kommen ja in Scharen zu uns und erzählen uns alles.“ Das zielte auf Angehörige des Widerstands, die nach London pilgerten in der Annahme, dort uneigennützige Verbündete für Hitlers Sturz zu finden. Sie ignorierten, daß die gemeinsame Feindschaft gegen den Diktator die deutsch-britischen Interessenkonflikte keineswegs aufhob. Im Zustand ihrer Ohnmacht wollten sie in den Briten objektive Sachwalter eines allgemeinen Weltgewissens sehen. Als ihnen der Irrtum dämmerte, blieb ihnen als letzter Bezugspunkt der reine Idealismus.

Auf den praktischen Zweck komme es nicht mehr an, begründete Henning von Tresckow 1944 das Attentat auf Hitler, sondern nur noch darauf, vor der Geschichte „den Wurf“ zu wagen. Ihr Irrtum war gerechtfertigt durch den moralischen und den Staatsnotstand, den Hitlers Herrschaft bedeutete. Von der Höhe dieses „Wurfs“ wirken die Niederungen, in denen die publik gewordenen Petzereien bundesdeutscher Politiker sich abspielten, um so schäbiger.  Zuerst wurde durch Wikileaks bekannt, daß Helmut Metzner, der inzwischen geschaßte Büroleiter von FDP-Chef Guido Westerwelle, sich der amerikanischen Botschaft als Informant angeboten hat. „Begeistert von seiner Rolle als Protokollant der Koalitionsverhandlungen, schien er geneigt, seine Beobachtungen und Notizen zu teilen und uns direkt von seinen Mitschriften vorzulesen. Außerdem bot er Kopien seines Verhandlungen-Ordners an“, berichtete der Botschafter nach Washington. Ein IM aus Neigung und Profession gewissermaßen.

Danach haben die Amerikaner selbst öffentlich gemacht, daß der baden-württembergische CDU-Politiker Klaus Heinrich Scheufelen (1913–2008) als CIA-Spion tätig war. Scheufelen saß im Bundesvorstand der CDU und stand von 1963 bis 1970 dem Wirtschaftsrat der Union vor. Er wirkte als einflußreicher Strippenzieher im Hintergrund. Die Stuttgarter Zeitung schreibt, er habe über die Vorgänge in der CDU Bescheid gewußt wie kein anderer. „An Weichenstellungen und personellen Entscheidungen war er beteiligt. Eigentlich lief in der Landes-CDU und darüber hinaus nichts ohne ihn. Die CIA wurde also aus erster Hand informiert.“ Hat er auch Handlungsanweisungen erhalten?

Politik und Medien haben es bisher vermieden, der Struktur des Verrats – Vertrauensbruch und Vortäuschen von Loyalität – nachzugehen, die in beiden Fällen durchscheint. Natürlich stehen Deutschland und die USA in keinem politischen und ideologischen Feindverhältnis, sie sind, was man „befreundete Staaten“ nennt. Dennoch sind ihre Interessen nicht identisch. Die Gegenseite mit vertraulichen Informationen zu versorgen heißt, ihr einen Informationsvorsprung zu verschaffen, ihre Verhandlungsposition zu stärken und umgekehrt die des eigenen Landes zu schwächen.

Scheufelen stellt gewissermaßen einen Altfall aus dem Kalten Krieg dar. Er gehörte zu den Raketenforschern um Wernher von Braun, die 1945 in die USA verbracht wurden. 1950 nach Deutschland zurückgekehrt, fühlte er sich den USA verbunden. Das geteilte und nur teilsouveräne Deutschland war ein lohnendes Betätigungsfeld für auswärtige Geheimdienste, und mit fortlaufender Aktenöffnung werden wir gewiß noch überraschende Enthüllungen erleben. Bei Entdeckung zu Lebzeiten würde Scheufelen gewiß – und sogar mit einigem Recht – darauf verwiesen haben, daß die Einheit des westlichen Bündnisses unter Führung der USA überlebenswichtig für die Bundesrepublik war und daß man, um diese Einheit zu sichern, eben auch unkonventionelle Wege beschreiten mußte.

Helmut Metzner verkörpert demgegenüber den postmodernen Verratsfall, das heißt, ihm sind nicht einmal politische Hintergedanken zuzutrauen. Metzner, geboren 1968 im fränkischen Bamberg, teilte in seinem „MunterMacherMetzner“ betitelten – inzwischen weitgehend gesäuberten – Internetauftritt mit, daß er im Kindesalter beim Sturz einen „leichten Dachschaden“ erlitten habe, „der aber mit sieben Stichen behoben werden konnte“. Seine Mutter nahm ihn zu Veranstaltungen der damals omnipotenten CSU mit, doch volljährig geworden, überkam ihn die Erkenntnis, „daß (sein) Leben eine Wendung nehmen mußte“. Sie bestand darin, daß er sich „vom schwarzen Saulus zum blaugelben ´(sau-)lustigen` Liberalen“ wandelte. Im Wahlkampf und auf der Parade zum Christopher-Street-Day schlüpfte er in ein blau-gelbes Häschenkostüm, was er eine „weniger leibfeindliche“, dafür „ausdrucksstarke Form des politischen Protests“ nannte.

Der studierte Historiker und Politologe hat sein Berufsleben beinahe komplett bei der FDP verbracht, denn: „Bei den Liberalen kann ich sein wie ich bin.“ Der bekennende Fliegenträger und Sammler von Männerhüten, der dem Vorstand des Schwulen- und Lesbenverbandes angehört, ist ausdrücklich ein Exponent der Spaßgesellschaft. „Merkwürdig ist, daß beinahe alle Artikel seit dem ersten Auftreten dieses gesellschaftlichen Phänomens – oder sollte man sagen Phantoms – das Ende der Spaßgesellschaft prophezeiten oder erhofften. Offenbar stört es den gewöhnlichen Alltags-Moralisten, wenn es ihm trotz jahrelang verbreiteter Endzeitstimmung nicht gelungen ist, den Menschen ihre Zuversicht zu rauben.“ Metzner präsentierte sich dem Publikum als quietschvergnügter Comedy-Clown. Politische Inhalte spielten keine Rolle.

Er ist ein großes Kind der 1990er Jahre geblieben. Namentlich jüngere Politiker und Journalisten, von der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges überfordert, gaben sich damals dem Glauben hin, die New Economy – in Stichworten: Computer- und Informationstechniken, Neue Medien, Digitalisierung, virtuelle Realitäten, Globalisierung – würde nicht nur die Grundregeln des Wirtschaftens außer Kraft setzen, sondern auch das Politische umdefinieren beziehungsweise an die Stelle der Politik treten.

Das ästhetische Gegenstück dazu war die Spaßgesellschaft. Mit ihr war die – inzwischen von der Kulturindustrie vollständig okkupierte – Kulturrevolu-tion von 1968 in ein inferiores Stadium getreten und wurden die bürgerlichen Standards und Loyalitäten auf Gossenniveau herabgedrückt. Genau das war die geistige Welt der Westerwelle-FDP, und so konnte ein Parallel- und Halbweltler zum Bürochef des Vorsitzenden einer Regierungspartei avancieren.

An dieser Stelle müssen die sexuelle Orientierung der Protagonisten, die „homosexuelle Seilschaft“ bzw. „Bande“ (FAZ) innerhalb der Partei erwähnt werden. Grundsätzlich geht die Vorliebe eines Ministers oder Bürochefs das Publikum nichts an. Als Konrad Adenauer die entsprechende Veranlagung seines Außenministers Heinrich von Brentano zugetragen wurde, wehrte der alte Herr lässig ab, ihn jedenfalls hätte Brentano noch nicht angefaßt. Mit Abschaffung des Paragraphen 175 hat die Homosexualität als juristischer und sukzessive auch als gesellschaftlicher Erpressungsgrund ausgedient. Doch Metzner und auch Westerwelle haben sie selber zum Thema gemacht,  was geradezu danach ruft, nach dem Exemplarischen darin zu suchen.

In der Vergangenheit hatten Homosexuelle, namentlich Künstler, häufig versucht, durch exaltiertes Dandytum aus ihrer Pariastellung auszubrechen. Bürgerliche Konventionen wurden demonstrativ überschritten und der Gesellschaft so die Verachtung gezeigt. Männer wie der Dichter Oscar Wilde waren frühe Vorboten der Kultur- und Sexualrevolution.

Das Leiden an den sexuellen Konventionen, denen man nicht entsprechen konnte, konnte sogar dazu führen, daß der Gesellschaft ganz generell die Loyalität aufgekündigt wurde. Aufschlußreich ist der Roman „Der Unberührbare“ des irischen Autors John Banville, der auf dem Spionagefall der „Cambridge Five“ beruht. Die fünf Absolventen der Elite-Universität, die alle der britischen Oberschicht entstammten, hatten vor, in und nach dem Zweiten Weltkrieg für den sowjetischen Geheimdienst gearbeitet und ihr Land verraten. Die meisten waren homosexuell.

Der Homosexuelle, der seine Neigung verbergen mußte, war der geborene Spion, denn: „In gewisser Weise hatten sich Sex und Spionieren die Waage gehalten, das eine war die Tarnung für das andere gewesen.“ Die Spionage war zugleich die Rache an der bürgerlichen Welt und der Kampf gegen sie. Die abweichende Sexualität war der Ausgangspunkt für die Absicht, die ganze Welt zu revolutionieren. Die Aussicht auf eine Gesellschaft befreiter Menschen hob die Verpflichtung gegen das eigene Land auf.

Heute sind solche Konflikte hinfällig und keine Tarnungen mehr nötig, doch statt die großzügig gefaßte Normalität gelassen zu nutzen, wird der Gestus dandyhafter Selbstverwirklichung auf die Politik ausgedehnt. Für solche Auftritte braucht es heute keinen anderen Mut mehr als den zur Peinlichkeit. Margret Boveri: „Eine Quelle des Übels liegt darin, daß das befreite Individuum, das sich das Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht erkämpft hatte, im zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr wie im neunzehnten in der Lage ist, die daraus erwachsenden Verpflichtungen zu übersehen und zu erfüllen.“

Mit dem „Übel“ ist der Verrat gemeint. Prädestiniert dazu ist das multiple, zwischen unterschiedliche Loyalitäten gestellte Individuum, das eine grenzenlose Unabhängigkeit beansprucht und glaubt, überkommene Verpflichtungen abstreifen und die Welt nach eigener Laune neu erfinden zu können. Im 20. Jahrhundert wurden Ideologien, vor allem die kommunistische, über die Treue zum eigenen Land gestellt. Heute, im Zeitalter des Individualismus, ist es die Lust am kleinen, selbstverliebten Ich. Der schwule Dandy, der sein Privatestes im politischen Raum transzendiert, wird nun zum Modellfall und Avantgardisten unbegrenzter Selbstverwirklichung. Der  Verrat wird gar nicht mehr als solcher wahrgenommen.

Dieser individualistische Eskapismus hat also auch auf die politischen Außenbeziehungen übergegriffen. Damit ist Deutschland ein Sonderfall. Der als „aufstrebend“ bezeichnete FDP-Mann Metzner baute bei seinen Plauderstündchen in der US-Botschaft unbewußt auf der bewußten Entscheidung des CDU-Politikers Scheufelen auf. Im übrigen wird er lediglich an das eigene Fortkommen gedacht haben. Es wäre lohnend, die machtpolitischen Grundlagen zu überprüfen, auf denen soviel Unbedarftheit und Selbstbezogenheit eines deutschen Politikfunktionärs gedeiht. Von den Zuträgereien muß Metzner sich etwas versprochen und den Amerikanern die Fähigkeit zugetraut haben, seine Erwartungen zu erfüllen.

Was sagt das über die Machtverhältnisse im deutschen Politikbetrieb aus? Wie kommt es, daß weder die Parteien noch die Medien ein Empfinden für die politische Dimension dieser Vorgänge besitzen und ein Problem darin erblicken? Vielleicht betrachten sie die Hegemonialmacht als objektiven Sachwalter einer höheren Menschheitsloyalität, vor der die deutsche Staatsloyalität noch immer zurückzutreten hat.

 

Thorsten Hinz, Jahrgang 1962, war Kulturredakteur der JUNGEN FREIHEIT und arbeitet heute als freier Autor in Berlin. 2004 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Pflicht zum Staat (JF 10/10).

Foto: Der FDP-Politiker Helmut Metzner wollte dem „befreundeten“ Hegemon Koalitionsinterna zuspielen: Gelten die Vereinigten Staaten deutschen Politikern überhaupt als fremde Macht?

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