© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Vom Nachruhm unbehelligt
Magischer Realismus: Zur Ernst-Jünger-Ausstellung des Literaturarchivs in Marbach
Karlheinz Weissmann

Das Museum der Literarischen Moderne in Marbach meldet einen Besucherrekord für die Ernst-Jünger-Ausstellung, die seit November des vergangenen Jahres gezeigt wird. Mehr als achtzigtausend Menschen sind gekommen, um sich in dunklen Räumen, sparsam, aber klug inszeniert, die Hinterlassenschaft eines Schriftstellers anzusehen, der allgemein zu den bedeutenden Autoren des 20. Jahrhunderts gezählt wird, dessen Person und Werk aber auch Rätselhaftes und Problematisches an sich hat.

Daß das etwas von der Attraktion Jüngers ausmacht, ist unbestritten, gleich zu Anfang heißt es auf einer der Schrifttafeln: „Man kann Jünger als Autor für wie als Autor gegen den Krieg lesen, als faschistischen wie als anarchischen Schriftsteller, als Liebhaber der Lebensgefahr und Befürworter des Friedens, als Freund des Todes wie des Lebens.“

Auf dieses Widerspiel wird man in Marbach eingestimmt mit dem farbenfrohen Regenschirm, den Jünger nutzte, um Insekten anzulocken, wenn er auf „subtile Jagden“ ging, und den man jetzt gespannt und umgedreht auf dem Treppenabsatz plaziert hat, der ins Untergeschoß führt, das die Ausstellung beherbergt. Dort angekommen, muß der Besucher an einer niedrigen Vitrine vorbei, die direkt auf den Boden gesetzt wurde und nichts enthält als Jüngers Stahlhelm aus dem Ersten Weltkrieg mit zwei Durchschüssen, dazu eine kurze Notiz aus dem Tagebuch von 1917, die den Augenblick festhielt, als Jünger die Treffer kassierte, den Helm vom Kopf nahm und sich an den Kopf faßte, um zu prüfen, ob das Gehirn intakt geblieben sei: „Zum Glück nur Blut.“

Die Tagebücher, die Jünger seit seiner Kindheit geführt hat, zuerst nur provisorisch, dann immer systematischer, geben dem ersten Teil der Ausstellung Struktur. Zweckentfremdete Schulhefte, Kladden, kleine Notizbücher, dann größere, fester gebundene, während der Besatzungszeit in Frankreich ein Diarium für den Dienstgebrauch führen den Betrachter an den bekannten Stationen seines Lebens entlang: vom schlechten Schüler und Wandervogel über den verhinderten Fremdenlegionär, den Kriegsfreiwilligen und Berufssoldaten aus Mangel an Alternativen, Studenten, Erfolgsautor und Bohemien, das abenteuerliche Herz und den Nationalrevolutionär, Ehemann und Familienvater, Seismographen und inneren Emigranten, wieder Offizier und Widerstrebenden, Beschädigten und Davongekommenen, Meister und Verfemten.

Daneben sind es die in Marbach ausgestellten Briefe, die einen gewissen Eindruck von der Biographie vermitteln, darunter so berühmte wie der, in dem Jünger Carl Schmitt zum „Begriff des Politischen“ gratulierte. Manuskripte haben sich nur teilweise erhalten, die aus der politischen Phase gar nicht, da Jünger sie nach 1933 aus Sorge vor einem Zugriff der Gestapo verbrannte, zusammen mit Teilen der Korrespondenz, deren Inhalt den neuen Machthabern so wenig zugesagt hätte wie den alten.

Einen zweiten Schwerpunkt legt die Ausstellung auf Leitmotive in Jüngers Werk. Eindrucksvoll ist, wie sehr Jünger daran gelegen war, seine Manuskripte nach und nach in Gesamtkunstwerke zu verwandeln, durch Abschrift mit der Hand oder besondere Arten des Einbands; wie stark er zeitlebens auf bestimmte Themen und Fragestellungen fixiert blieb, was die Käfer und Insekten überhaupt betraf, aber auch Schlangen und Echsen, die Muscheln und alles, was gepanzert war, Vorgänge am Himmel wie im mikroskopischen Bereich, Übergänge und Abgründe, Letzte Worte, das Verhältnis von Göttern, Titanen und Menschen. Prominent steht in der Ausstellung einer der großen Körbe aus Jüngers Bibliothek, der Muscheln, Seeigel und Seesterne enthält, zwischen denen er Schrapnellteile verbarg, die ihn getroffen hatten.

Es steckte dahinter eine auch in Jüngers Texten immer wieder feststellbare Fähigkeit zu „magischem Realismus“, zu assoziativer Verknüpfung dessen, was keinen logischen Zusammenhang hat, zur Bedeutungszuschreibung, die die Macher der Ausstellung besonders fasziniert hat, die Collagen-Technik nicht nur des Sammlers Jünger, sondern auch des Autors Jünger, der seine Werke im Lauf der Zeit immer wieder änderte, umschrieb, für die Werkausgaben rekombinierte. Es ist der Verweis darauf von ihrer Seite keineswegs kritisch gemeint, man hat vielmehr den Eindruck, als ob die Verantwortlichen in Marbach den Zug ins Postmoderne begrüßten.

Sie kommen damit aber einer Tendenz von Jüngers Selbstdeutung allzu sehr entgegen. Es handelt sich um eine Schwäche, die typisch ist für die neue Jünger-Forschung, obwohl die Ausstellung durchaus Licht auf das fallen läßt, was fehlt, was hinzugefügt werden müßte, wenn man ein vollständiges Bild gewinnen wollte. Ein Beispiel ist der ausgestellte Brief, den Jünger am 5. Januar 1973 an Werner Best geschrieben hat. Beide waren gut bekannt aus den nationalistischen Zirkeln der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, Best hatte an dem von Jünger herausgegebenen Sammelband „Krieg und Krieger“ (1930) mitgearbeitet und in seinem Beitrag den Begriff „heroischer Realismus“ verwendet, den Jünger übernahm.

Obwohl Best in die NSDAP eintrat und in der SS eine steile Karriere machte, scheint das die Beziehung der beiden nicht getrübt zu haben. Der Anlaß des Schreibens von 1973 war jedenfalls auch die Versicherung der Solidarität Jüngers angesichts einer neuerlichen Anklage gegen Best, die sich auf dessen Rolle bei der Aufstellung von „Einsatzgruppen“ während des Krieges bezog.

Inwiefern Jünger der Hintergrund im Detail bekannt war, ist kaum noch festzustellen. Ihm ging es in erster Linie darum, daß er die „Rechtsordnung“ durch ein Gesetz mit rückwirkender Geltung gefährdet sah. Davon abgesehen steht der Brief für ein Kontinuitätsmoment, das die Gegner Jüngers immer hervorholen, um ihn zu diskreditieren, das die Apologeten Jüngers immer beschweigen, weil es ihrer Neigung entgegensteht, einen Klassiker aus ihm zu machen. Es wäre an der Zeit, solche Parteilichkeit hinter sich zu lassen.

Die Ausstellung „Ernst Jünger – Arbeiter am Abgrund“ ist bis zum 27. März im Literaturmuseum der Moderne, Schillerhöhe 8-10, in Marbach am Neckar täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 9 Euro. Telefon: 0 71 44 / 8 48-0

Der Begleitband erschien als Band 64 der Marbacher Kataloge (kartoniert, 284 Seiten, zahlreiche Abbildungen) und kostet 26 Euro. www.dla-marbach.de

Fotos: Ernst Jüngers Zikaden-Sammlung: Zeitlebens blieb er auf bestimmte Themen und Fragestellungen als Leitmotive fixiert, Jüngers Notizheft (1963) und bei Subtilen Jagden: Schlechter Schüler, Wandervogel, Berufssoldat, Erfolgsautor, Seismograph

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