© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Viel bleibt nicht mehr übrig
Stationen der Aushöhlung der Institution Ehe: Erfolge linker Wühlarbeit
Gerhard Vierfuss

Wer die Diskussion um die Beseitigung der letzten verbliebenen rechtlichen Unterschiede zwischen der Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft verfolgt, hat Mühe sich vorzustellen, daß noch vor wenig mehr als vier Jahrzehnten homosexuelle Männer, sofern sie nicht enthaltsam lebten, als Kriminelle behandelt wurden: Bis ins Jahr 1969 war der alte Paragraph 175 des Strafgesetzbuches in der erweiterten Fassung in Kraft, die er 1935 von den Nationalsozialisten erhalten hatte und jegliche homosexuelle Betätigung von Männern mit Gefängnis bedrohte. 1957 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Vorschrift für mit dem Grundgesetz vereinbar.

Das rot-grüne Hamburg spielte die Vorreiterrolle

Erst die Große Koalition unter Kurt Georg Kiesinger wandelte 1969 den Tatbestand in ein Jugendschutzgesetz um, indem sie eine Altersgrenze von 21 Jahren einführte; homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern wurden damit erstmals straflos gestellt. 1973 wurde die Schutzgrenze auf 18 Jahre gesenkt (womit sie immer noch über der Schutzgrenze von Mädchen gegen „Verführung“ lag, die auf 16 Jahre festgelegt war). Erst 1994 wurde Paragraph 175 im Zuge der Rechtsangleichung nach dem Beitritt der mitteldeutschen Länder zur Bundesrepublik abgeschafft. Seitdem besteht für Jungen und Mädchen eine einheitliche Regelung zum Schutz vor sexuellen Übergriffen.

Nachdem dies erreicht war, richtete sich die Aktivität der in den 1970er Jahren aufgekommenen Schwulen- und Lesbenbewegung (wie die Selbstbezeichnungen lauten) zunehmend auf das Ziel einer rechtlichen Absicherung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Von den Grünen wurde dieses Anliegen seit ihrem Einzug in die Parlamente getragen. Vorbilder waren die skandinavischen Länder: Als erstes Land weltweit führte Dänemark 1989 die eingetragene Partnerschaft ein, gefolgt von Norwegen 1993 und Schweden 1995. Weitere Länder folgten: die Niederlande und Spanien 1998, Frankreich 1999 und Belgien 2000. Inzwischen haben diese Länder – bis auf Dänemark und Frankreich – das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet.

Eine Vorreiterrolle übernahm in Deutschland der rot-grüne Senat von Hamburg mit der Einrichtung der sogenannten „Hamburger Ehe“ 1999. Dadurch erhielten gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, ihre Verbindung beim Standesamt eintragen zu lassen. Rechtliche Auswirkungen hatte dies kaum. Im November 2000 verabschiedete dann der Bundestag mit der Mehrheit von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP das Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft, mit dem erstmalig in Deutschland ein rechtlicher Rahmen für das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare geschaffen wurde.

Das Gesetz regelte vor allem die bürgerlichen Verhältnisse der Lebenspartner: das Namensrecht, das Güter- und Unterhaltsrecht, das Erbrecht, Bestimmungen zum Mietrecht. Dabei orientierte es sich an den für die Ehe geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, ohne diese jedoch geradewegs zu kopieren. Vielmehr wurden zahlreiche kleinere oder größere Abweichungen vorgenommen, teilweise auch nur andere Namen für dasselbe verwendet („Aufhebung“ statt „Scheidung“). Grund hierfür war das Bemühen, einem Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht über den in Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes statuierten besonderen Schutz der Ehe aus dem Weg zu gehen.

Zur Regelung solcher Bereiche, bei denen der Bundesrat ein Mitspracherecht hat – insbesondere beamten- und steuerrechtliche Fragen –, hatte die Regierungskoalition den Entwurf eines Ergänzungsgesetzes vorgelegt, der aber von der damaligen Mehrheit der CDU- und CSU-geführten Länder abgelehnt wurde. So kam es zu einer Aufspaltung der rechtlichen Situation von eingetragenen Lebenspartnern: Bürgerlich-rechtlich war sie derjenigen von Ehepartnern angenähert, öffentlich-rechtlich entsprach sie derjenigen von Fremden. Diese Diskrepanz zu beseitigen, blieb ein Ziel grüner und linker Politik.

Im Juli 2002 erklärte Karlsruhe das Lebenspartnerschaftsgesetz für mit dem Grundgesetz vereinbar. Weder Artikel 3 noch Artikel 6 seien verletzt. Aufgrund des unterschiedlichen Adressatenkreises der Institute Ehe und Lebenspartnerschaft sei eine Beeinträchtigung des einen durch das andere ausgeschlossen. Insbesondere wandte sich das Gericht gegen die von konservativen Juristen vorgebrachte These vom „Abstandsgebot“: Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz verlange keineswegs, die Ehe stets besser zu behandeln als andere Lebensgemeinschaften. Damit war der Weg frei für die vollständige Angleichung der eingetragenen Lebenspartnerschaft an die Ehe.

Im Oktober 2004 verabschiedete der Bundestag eine Neufassung des Gesetzes, die zahlreiche der bisherigen Unterschiede zum Eherecht beseitigte: So wurde die Möglichkeit des Verlöbnisses eingefügt und damit ein Aussageverweigerungsrecht im Zivil- und Strafprozeß begründet; das Güterrecht wurde dem der Ehe nachgebildet; ein Versorgungsausgleich wurde eingeführt; Unterhalts- und Erb­recht wurden an die der Ehe angeglichen. Die wichtigste Neuregelung aber war die Einfügung des Rechts zur Stiefkindadoption, heißt der Adoption des leiblichen Kindes des einen Lebenspartners durch den anderen. Ausgeschlossen blieb hingegen – und ist bis heute – die Adoption eines fremden Kindes.

In den folgenden Jahren mußte sich mehrfach das BVerfG mit der Materie befassen. Nachdem eine Kammer des Zweiten Senats zunächst zwei Klagen gegen die  Benachteiligung eingetragener Lebenspartner im Beamtenrecht abgewiesen hatte, änderte der Erste Senat den Kurs des Gerichts grundlegend: Im Juli 2009 erklärte er die Ungleichbehandlung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe bei der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung des öffentlichen Dienstes für verfassungswidrig; ein Jahr später fällte er das gleiche Verdikt im Hinblick auf das Erbschaftsteuerrecht. Zur Begründung erklärte das Gericht, der bloße Hinweis auf das Schutzgebot der Ehe in Artikel 6 Grundgesetz rechtfertige nicht die Benachteiligung anderer Lebensgemeinschaften.

Aufgrund dieser Rechtsprechung haben Bundestag und -rat Ende des vergangenen Jahres rückwirkend die Gleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Erbschaftsteuerrecht beschlossen. Die Bundesregierung hat außerdem einen Gesetzentwurf zur Angleichung beider Institute im öffentlichen Dienstrecht in den Bundestag eingebracht. Forderungen nach entsprechenden Änderungen im Einkommensteuerrecht – Stichwort: Ehegattensplitting – weist die CDU bis jetzt zurück; indessen dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis das Bundesverfassungsgericht sie erzwingt.

EU-Parlament plant „Homo-Ehe“ durch die Hintertür

Sobald dies geschehen ist, wird es  im wesentlichen nur noch ein Privileg der Ehe gegenüber der eingetragenen Lebenspartnerschaft geben: das Recht zur Fremdkindadoption. Für dieses Privileg nun lassen sich sachliche Gründe anführen, die auch den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung Genüge tun (JF 20/10). Man darf gespannt sein, ob CDU/CSU imstande sein werden, diese Gründe vorzubringen und in dieser ganz konkreten Frage die Rechte der zur Adoption stehenden Kinder gegen die Wünsche homosexueller Paare zu verteidigen.

Unterdessen hat das EU-Parlament Ende November einen Vorstoß zur Stärkung der Rechte Homosexueller unternommen: In einer Entschließung zu zivil-, handels- und familienrechtlichen Aspekten des Stockholmer Programms der EU „betont“ es „die Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung offizieller Dokumente der nationalen Verwaltungen“ und „unterstützt Pläne, nach denen die gegenseitige Anerkennung von Personenstandsurkunden ermöglicht wird“.

Kritiker sehen hier den ersten Schritt zur Einführung der Homo-Ehe durch die Hintertür: EU-Recht könnte dazu verpflichten, eine etwa in Spanien geschlossene „Ehe“ in Deutschland anzuerkennen, mit der Folge eines europäischen Heiratstourismus’ Homosexueller.

Indes ist selbst bei einer Umsetzung der Entschließung des Europäischen Parlaments in bindendes Recht keineswegs sicher, daß sich für Deutschland etwas änderte: Bereits jetzt werden im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche „Ehen“ in Deutschland anerkannt – als eingetragene Lebenspartnerschaften.

 

1935: Paragraph 175 des Strafgesetzbuches bedroht jegliche homosexuelle Betätigung von Männern mit Gefängnis.

 

1957: Bundesverfassungsgericht erklärt Paragraph 175 für mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

1969: Jugendschutzgesetz stellt homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern ab 21 Jahren straflos.

 

1973: Die Schutzgrenze wird auf 18 Jahre gesenkt.

 

1999: Hamburg führt  „Hamburger Ehe“ ein. Gleichgeschlechtliche Paare können ihre Verbindung beim Standesamt eintragen  lassen.

 

2000: Bundestag verabschiedet das Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft.

 

2002: Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärt das Lebenspartnerschaftsgesetz für mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

2004: Bundestag verabschiedet eine Neufassung des Gesetzes, die zahlreiche Unterschiede zum Eherecht beseitigt (Unterhalts-, Erb- und Adoptionsrecht).

 

2009: BVerfG erklärt die Ungleichbehandlung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe bei der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für verfassungswidrig.

 

Juni 2010: Bundestag und Bundesrat beschließen die Gleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Erbschaftsteuerrecht.

 

Juli 2010: BVerfG erklärt, daß der Hinweis auf das Schutzgebot der Ehe in Artikel 6 Grundgesetz nicht die Benachteiligung anderer Lebensgemeinschaften rechtfertige.

 

November 2010: Bundesregierung bringt Gesetzentwurf zur Angleichung beider Institute im öffentlichen Dienstrecht in den Bundestag ein.

 

November 2010: Das Europäische Parlament billigt einen neuen Vorstoß zur Stärkung der Rechte von Homosexuellen unter zivil-, handels- und familienrechtlichen Aspekten.

 

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