© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Sieben Monate ohne reguläre Regierung
Belgien: Offene Diskussion über Teilung des Landes
Mina Buts

Ob es in Belgien überhaupt noch einmal eine Regierung geben wird und wie diese aussehen könnte, steht sieben Monate nach den Parlamentswahlen (JF 25/10) immer noch in den Sternen. Zuletzt unternahm der flämische Sozialist Johan Vande Lanotte (SP.A), immerhin schon der fünfte vom König beauftragte Vermittler, den Versuch, die sieben für eine Regierungsbildung vorgesehenen Parteien wieder an den Verhandlungstisch zu bringen.

Daß allerdings jede von ihnen eine andere Version des Vermittlungsvorschlags bekam, um ein Durchsickern von internen Informationen zu verhindern, spricht Bände und zeigt, wie vergiftet das politische Klima des Landes unterdessen ist. Sowohl die flämischen Christdemokraten (CD&V) als auch die national-konservative Neue Flämische Allianz (N-VA) fanden sich in dem Schriftstück nicht wieder und lehnten es ab, woraufhin Vande Lanotte sein Mandat bei König Albert II. zurückgab.

Mittlerweile sprechen die Grünen, auch sie für eine Regierungsbildung mit vorgesehen, von einer „totalen Blockade“ des Landes, die den Menschen im Land nicht mehr zu vermitteln sei. Neuwahlen werden immer wahrscheinlicher: Die Parteien müßten ihre Karten erneut offen auf den Tisch legen, nur bei einem weiteren Urnengang könne deutlich werden, was die Belgier wirklich wollten, hieß es in den politischen Kommentaren.

Doch genau das haben sie bei den vergangenen Wahlen schon deutlich zum Ausdruck gebracht: Die niederländischsprachigen Flamen optierten für Parteien wie die N-VA oder den rechten Vlaams Belang (VB), die für eine noch weiter gehende Föderalisierung des Landes bis hin zur Unabhängigkeit Flanderns stehen. Die französischsprachigen Wallonen votierten für die links-sozialistischen Parteien, die für einen Fortbestand Belgiens (von dem sie wirtschaftlich abhängig sind) plädieren. Im Dezember sickerte allerdings durch, daß eine Arbeitsgruppe im französischen Außenministerium bereits damit beschäftigt sei, die Modalitäten für einen Anschluß Walloniens an Frankreich zu prüfen. Und es ist ein offenes Geheimnis, daß der sozialistische Wallone Elio di Rupo (PS), designierter Ministerpräsident Belgiens und amtierender in Wallonien, bereits mehrfach beim König nachfragte, ob dieser bereit sei, auch ein verkleinertes Königreich „Wallo-Brux“ zu regieren. Das würde die Hauptstadt Brüssel umfassen, was nicht allen Flamen gefallen dürfte.

Der Ministerpräsident der kleinen deutschsprachigen Gemeinschaft, Karl-Heinz Lambertz, hat ebenfalls schon in Luxemburg antichambriert, um die Modalitäten eines Anschlusses von Eupen-Malmedy (das Gebiet gehört zu Wallonien und war bis 1920 Teil des Deutschen Reiches) an das reiche Großherzogtum zu klären. Das wirtschaftsstarke Flandern könnte mit seinen 6,2 Millionen Einwohnern (Brüssel eingerechnet) gut als eigener Staat bestehen und damit, so befürchtet dieser Tage schon die linksliberale griechische Tageszeitung To Ethnos, ein „weiterer Satellitenstaat“ Deutschlands werden.

In einer verzweifelten Aktion hat nun der geschäftsführende belgische Vizepremierminister Didier Reynders einen Aufruf in etlichen belgischen Printmedien lanciert, in dem er für eine überschaubare Dauer – der wallonische Liberale (MR) avisiert den Zeitraum von ein paar Monaten – dafür eintritt, zumindest begrenzte Zuständigkeiten der geschäftsführenden Regierung zu überlassen, um das Land nicht in den völligen Stillstand hineinzumanövrieren. Zum einen fordert er eine Modifizierung der laxen Zuwanderungspolitik. Denn seit der Ausweisung der Zigeuner aus Frankreich suchten diese massenweise Zuflucht in Belgien. Die Asylunterkünfte sind überfüllt, qua Gesetz muß die Regierung nun Hotelzimmer anmieten. Zum anderen sinkt bei einer Staatsverschuldung von 97,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sowie ohne Haushalt und staatliches Sanierungsprogramm die Bonität des Landes. Der Zins für zehnjährige belgische Staatsanleihen stieg auf 4,23 Prozent – das sind 140 Basispunkte mehr als für deutsche.

Auch hier fordert Reynders ein rasches Eingreifen, zumal Belgien Anfang der Woche zu den zwanzig Kandidaten, denen der Staatsbankrott droht, aufgerückt ist. Und während die N-VA Reynders Vorschlag begrüßt, haben die flämischen CD&V und wallonische PS – wie wäre es anders zu erwarten – den Notplan gleich abgelehnt.

Foto: Atomium in Brüssel: Ein Staatsbankrott ist nicht ausgeschlossen

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