© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Käßmann statt Sarrazin
Paul Rosen

Kreuth – das war für die CSU ein Mythos gewesen. 1976 hatte hier die CSU-Landesgruppe ihre Unabhängigkeit von der CDU erklärt und damit Macht und Selbstbewußtsein demonstriert. Der Trennungsbeschluß wurde wieder aufgehoben, nachdem Helmut Kohl gedroht hatte, die CDU auf Bayern auszudehnen. Franz Josef Strauß trat den Rückzug an und träumte seitdem nur noch gelegentlich von der Idee der „Vierten Partei”.

Kreuth stand seitdem viele Jahre lang für deutliche Aussprache über die Lage der Union. In den vergangenen Jahren war es jedoch ruhiger geworden. Parallel zum generellen Bedeutungs- und Machtverlust der CSU, die in Bayern nur noch mit Hilfe der FDP regieren kann, ließ auch das Interesse der Öffentlichkeit an der CSU nach. In jüngster Zeit interessiert allenfalls noch der Gegensatz zwischen dem alternden Vorsitzenden Horst Seehofer und der neuen CSU-Idolfigur Karl-Theodor zu Guttenberg – eine reine Personalgeschichte, deren Ende klar zu sein scheint. Seehofer wird an einem noch nicht bekannten Datum abtreten und Guttenberg sein Nachfolger werden.

Inhaltlicher Zündstoff kam aus Kreuth nicht mehr. Viele Wähler hadern aus gut bekannten Gründen mit der CSU: Seehofer hält sie auf einem populistischen CDU-nahen Kurs, die Landesgruppe ist in Berlin mehr Stütze denn konservatives Korrektiv in der Regierung – so wie zu Zeiten von Strauß oder Edmund Stoiber. In wichtigen Fragen wie der Asyl- und Zuwanderungspolitik hatte sich die CSU immer volksnah präsentiert. In diesem Jahr nahm sie vor dem Thema Reißaus. Was hätte näher gelegen, als den Verfasser von „Deutschland schafft sich ab“, Thilo Sarrazin, zum Gespräch einzuladen? Kreuth stand früher für offene Debatten und auch Tabubrüche. Mit Sarrazin hätte die CSU ein Signal setzen können, daß sie sich mit Argumenten auseinandersetzt, während Kanzlerin Angela Merkel Sarrazins Buch als „nicht hilfreich“ abqualifizierte, ohne es überhaupt gelesen zu haben.

Statt dessen kam Margot Käßmann. Die vor einem Jahr nach einer Trunkenheitsfahrt als EKD-Ratsvorsitzende zurückgetretene Theologin durfte erklären, warum sie gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist, worauf sie von Guttenberg prompt zu einem Truppenbesuch eingeladen wurde. Außerdem referierte sie nach Teilnehmerangaben über die ach so schreckliche Macht der Medien, die ihr so zugesetzt hatten. Hier hätte die CSU Unterstützung anzubieten gehabt: Otto Wiesheu zum Beispiel, der nach einer Trunkenheitsfahrt einige Jahre abgetaucht war und später noch zu Ministerehren in Bayern kam. Auch „Promille-Otto“, wie er seither bei seinen Parteifreunden heißt, hat einiges mit den Medien erlebt. Man hätte Erfahrungen austauschen und abends im Bierkeller gemeinsam „Lalleluja“ singen können.

Aber Scherz beseitige. Käßmann war das falsche Signal. Sie steht für ein linkes Gesellschafts- und Politikbild. Die CSU scheint sich wie die CDU als „moderne Großstadtpartei“ etablieren zu wollen. Wohin das führt, wird sie bei den nächsten Wahlen beobachten können.

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