© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

„Klima der Angst“
Die Homosexuellen-Lobby ist winzig – aber einflußreich. In wenigen Jahren hat sie unsere Gesellschaft verändert. Was ist das Geheimnis ihrer Macht? Welche Strategien verfolgt sie? Der Publizist Mathias von Gersdorff gibt Antwort
Moritz Schwarz

Herr von Gersdorff, die Unesco verfolge das Ziel, „die Hälfte der Weltbevölkerung in zwanzig Jahren homosexuell werden zu lassen“. Dieser Vorwurf des „Familienministers“ des Vatikans, Kardinal Ennio Antonelli, sorgte letzte Woche für Wirbel.

Gersdorff: Das klingt im ersten Moment natürlich ziemlich bizarr und man muß hinzufügen, daß die Süddeutsche Zeitung, die bei uns diese Meldung zuerst verbreitet hat, sich dabei auf eine Behauptung des Bischofs von Córdoba bezieht, der den Kardinal jüngst nach einem Gespräch mit ihm so zitiert hat. Vielleicht ist von der Presse auch etwas aus dem Zusammenhang gerissen worden, es wäre nicht das erstemal. Aber mich würde natürlich schon interessieren, was der Kardinal tatsächlich meint. Denn Tatsache ist, einschlägige Gruppen, wie etwa der weltweite Dachverband der Homosexuellen-Lobby, die International Lesbian and Gay Association (ILGA), nutzen internationale Organisationen, um ihre Ziele durchzusetzen.

Zum Beispiel?

Gersdorff: Es ist eindeutig zu beobachten, daß die Homosexuellen-Agenda in den Institutionen vor allem der EU, aber auch der Uno immer stärker ihren Niederschlag findet. Konkret nenne ich etwa die Resolution des Europaparlaments vom 18. Januar 2006 zur „Homophobie in Europa“. Mitunter wird inzwischen sogar dort der Einfluß der Lobby sichtbar, wo man ihn im ersten Moment nicht vermutet: zum Beispiel in der Resolution des EU-Parlaments vom 14. Januar 2009 über die Lage der Menschenrechte in Europa. Klingt eigentlich unverfänglich, doch tatsächlich wird darin unter anderem gefordert, daß religiöse Würdenträger sowie Persönlichkeiten des öffentlichen und politischen Lebens, die Haß und Gewalt schüren, verurteilt werden. Der springende Punkt ist: Zu dieser Kategorie zählt, gemäß Dokumenten homosexueller Organisationen, nicht nur der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner, sondern sogar der Papst!

Ist es nicht natürlich, daß eine Homosexuellen-Lobby gegen „Homophobie“ kämpft?

Gersdorff: Als „homophob“ gilt schon, wer etwa die „Homo-Ehe“ kritisiert. Die „Homo-Ehe“ ist aber ein politisches Projekt, gegen das man sich in einer Demokratie problemlos aussprechen können muß. Niemals würde man auf die Idee kommen, jemanden, der gegen die Forderungen der Gewerkschaften ist, als „arbeiterphob“ zu bezeichnen und das auf eine Stufe mit Rassismus und Antisemitismus zu stellen. Genau darum aber geht es zum Beispiel in der erwähnten Resolution „Homophobie in Europa“, dort wird „Homophobie“ in einem Atemzug eben mit Rassismus und Antisemitismus genannt, die bekanntlich bei uns als die schlimmsten gesellschaftlichen Vorwürfe gelten, die man sich vorstellen kann. Die Strategie ist klar: Man möchte erreichen, daß künftig jegliche Kritik an den politischen Forderungen der Homosexuellen-Lobby und natürlich an der Homosexualität selbst als „homophob“ gilt.

Und haben Sie auch dafür Beispiele?

Gersdorff: 2009 zum Beispiel agitierten Homosexuellenverbände, Linksextremisten wie die Antifa und andere massiv gegen einen Psychotherapie-Kongreß in Marburg, weil dort zwei Referenten auftreten sollten, die Therapien für Homosexuelle anboten. Die Grünen sprachen von einem „homophoben Kongreß“, schließlich sah sich der Bürgermeister von Marburg gar genötigt, sich zu distanzieren, weil er „Positionen, die sich gegen homosexuelle Identitäten und Lebensweisen richten, ablehne“. Gar nicht überzubewerten ist der Fall Rocco Buttiglione, der im Herbst 2004 wochenlang europaweit für Aufregung sorgte. Der damalige italienische Europa- und Kultusminister, heute übrigens Vizepräsident des italienischen Parlaments, sollte EU-Kommissar werden, äußerte aber während einer Kandidaten-Befragung durch linke Europaabgeordnete, daß er Homosexualität als guter Katholik persönlich ablehne, wenngleich er versicherte, im Amt natürlich niemals einen Homosexuellen zu benachteiligen. Doch die Empörung über diesen Fall von „Homophobie“ kannte keine Grenzen. Fazit: Die Lobby ist in Europa bereits seit Jahren so mächtig, daß selbst hochrangige Politiker, wenn sie etwa ehrliche Katholiken sind, in den EU-Institutionen keinen Platz mehr haben.

Warum tummelt sich die Homosexuellen-Lobby vor allem auf dem Feld inter- bzw. transnationaler Organisationen?

Gersdorff: Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens gibt es Länder, in denen die nationalen Gruppen auf absehbare Zeit keine Chance haben, auch nur einen Schritt weiterzukommen. In fast allen osteuropäischen oder den meisten südamerikanischen Staaten ist die Einführung der „Homo-Ehe“ derzeit sehr schwierig. Der einzige Weg, solche Staaten einmal zum Kippen zu bringen, ist sie über internationale Organisationen unter Druck zu setzen. Eines der prominentesten Opfer der Homosexuellen-Lobby ist vielleicht das Land Litauen, das in einem Gesetz vom 14. Juli 2009 Propaganda für Homosexualität – ausschließlich gegenüber Minderjährigen! – verbot. Prompt folgte die Verurteilung des Europaparlaments. Interessanterweise taucht diesmal das Wort „Homophobie“ im EU-Dokument gar nicht auf. Linke Medien haben trotzdem jubiliert, weil das EU-Parlament das „homophobe“ Gesetz verurteilt habe. Und auch die österreichischen Grünen triumphierten: „EU-Parlament verurteilt homophobe Gesetzgebung in Litauen.“

Sie sprachen von zwei Gründen.

Gersdorff: Zweitens, weil diese supranationalen Organisationen weit weg vom Bürger sind. Was dort diskutiert und beschlossen wird, genießt nicht annähernd die Aufmerksamkeit, wie die Themen, die in den nationalen Parlamenten debattiert werden. Im Grunde ist es zynisch: Die Homosexuellen-Lobby, die sich als Verkörperung von Bürgersinn und als Graswurzel-Bewegung sieht, nutzt das eklatante demokratische Defizit der EU, um möglichst unbemerkt am Volk, beziehungsweise an den Völkern, vorbei Fakten zu schaffen. Auch bei uns in Deutschland ist die homosexuelle Agenda auf diese Weise durchgesetzt worden: Bevor hierzulande 2001 die gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingeführt worden ist, wurde sie zunächst in einer Resolution des Europaparlaments von 1994 gefordert. Damit begann es: Mit diesem Papier in der Hand setzen die Lobbyisten die nationalen Parlamente unter Druck: „Die EU verlangt das!“ – obwohl die Resolution rechtlich unverbindlich war. Aber im Zusammenspiel mit der Presse gelang es, entsprechenden Druck aufzubauen, der inzwischen in den meisten west- und mitteleuropäischen Ländern zur Durchdrückung entsprechender Gesetze geführt hat.

Welchen Einfluß übt die Lobby also bei uns aus?

Gersdorff: Diverse deutsche Spitzenpolitiker sind bekanntlich homosexuell, ob sie deshalb empfänglicher für die Interessen der Lobby sind, muß man im Einzelfall untersuchen. In Berlin hat sie mit Klaus Wowereit einen prominenten Landesherrn als offenen Unterstützer. Doch die wichtigsten Politiker in der Vergangenheit waren solche wie die Bundesjustizministerinnen Herta Däubler-Gmelin oder Brigitte Zypries, beide SPD, die die Einführung und die Ausweitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes, also der „Homo-Ehe“, maßgeblich vorangebracht haben. Dies geschah im Rahmen der rot-grünen Gesellschaftspolitik, die sich gegen die traditionelle Familie richtete.

Vom Land Berlin gehen bekanntlich besonders viele Initiativen zugunsten der Homosexuellen-Lobby aus.

Gersdorff: Berlin besitzt eine Art Vorreiterfunktion. Unterstützung kommt allerdings auch sonst aus der Politik: Nachdem die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft inzwischen durchgesetzt ist, werden ständig neue Forderungen erhoben, wie tarifliche Zuschläge, Ehegatten-Splitting, Ausweitung des Erbschaftsrechts und zur Zeit vor allem die Kinderadoption etc. etc. Weitere Beispiele: Die Abstimmungs-Niederlage der Berliner Volksinitiative „Pro Reli“ zur Rettung des Religionsunterrichts im April 2009 ging auch auf das Konto der Homosexuellen-Lobby, die offen argumentierte, daß man nur mit Ethikunterricht wirklich gegen Antisemitismus, Rassismus und vor allem „Homophobie“ vorgehen könne. Mit ähnlichen Argumenten forderten die Berliner Grünen gar einen „Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie“, durch den Homosexuellenkunde sogar für Kinder eingeführt werden sollte, um „Homophobie“ an der Wurzel zu bekämpfen. Die Grünen forderten ebenso, daß Religionen als die Wurzel der „Homophobie“ benannt werden sollten.

Wer ist eigentlich die Homosexuellen-Lobby?

Gersdorff: In ihrem Mittelpunkt steht der LSVD, der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands, mit nach eigenen Angaben gut 3.000 Einzelmitgliedern und rund siebzig Mitgliedsorganisationen. Gegründet wurde er Anfang 1990 in Leipzig, also noch in der DDR, lief aber schon bald seinem westdeutschen Pendant BVH, dem Bundesverband Homosexualität, den Rang ab. Der Grund war, daß der SVD, wie er damals noch hieß, klar die Forderung nach der „Homo-Ehe“ erhob, während der BVH die Ehe als zu überwindendes Gesellschaftsmodell betrachtete – damit aber offenbar seinen Mitgliedern keine politisch erfolgversprechende Perspektive anbieten konnte. Neben beziehungsweise im LSVD gibt es noch weitere Organisationen, wie etwa die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen, den Jugendverband Lambda oder die LSU, die Lesben und Schwulen in der Union, also der CDU usw.

Homosexuelle besetzen inzwischen zahlreiche Spitzenposten. Gibt es nicht auch eine informelle Homosexuellen-Lobby?

Gersdorff: Der Gedanke ist naheliegend, bleibt aber spekulativ. Denn meines Wissens nach existiert bislang keine Untersuchung, ob – beziehungsweise in welchem Umfang – Homosexuelle andere Homosexuelle gezielt protegieren oder Heterosexuelle diskriminieren. Aber das Wichtigste ist meines Erachtens nicht, ob es diese Seilschaften gibt, sondern daß man anhand von gesellschaftspolitischen Projekten wie der „Homo-Ehe“ die christlich-abendländischen Wurzeln Deutschlands ausreißen will. Das Ziel ist ein Deutschland ohne Werte und Prinzipien, und dagegen muß die konservative Basis unseres Landes protestieren.

Wenn der größte Verband der Homosexuellen gerade rund dreitausend Mitglieder hat, ist er dann überhaupt repräsentativ?

Gersdorff: Sicher nicht, allerdings muß man anmerken: Das gilt nicht nur für die Lobby der Homosexuellen. Dennoch läßt sich nicht nur an der geringen Mitgliederzahl ablesen, daß die meisten Homosexuellen ihre Lobby zumindest nicht aktiv unterstützen, sondern auch zum Beispiel daran, daß der Verband bei Unterschriftensammlungen keineswegs die Zigtausenden von Unterzeichnern zusammenbringt, die er versammeln können müßte, wenn er explizit für die große Mehrheit der Homosexuellen sprechen würde – zumal ja die politischen Forderungen des LSVD nicht nur von homosexuellen Personen unterstützt werden.

Wie kann eine so kleine Lobby dann einen solchen Einfluß entfalten?

Gersdorff: Auch das ist eine gute Frage, denn nehmen Sie zum Vergleich die Lebensschutzorganisationen, die allesamt mehr Mitglieder als der LSVD haben und dennoch kaum von der Presse wahrgenommen werden. Seine Stärke verdankt der LSVD seinen Verbündeten in Politik, vor allem bei den Grünen und in der SPD, und ganz besonders in manchen Medien. Vor allem die linksorientierten Medien haben dazu beigetragen, daß ein gesellschaftliches Klima entstanden ist, in dem die Kritiker der Homosexuellen-Lobby stets in der Defensive sind. Und je fester es gelingt, den Dreiklang „Homophobie“, Rassismus, Antisemitismus zu knüpfen, desto mehr gleiten wir in den Zustand eines Gesinnungsterrors, einer „Stasi im Kopf“, die es verbietet, überhaupt noch kritisch über die politischen Forderungen der Homosexuellen-Lobby und die dahintersteckende Gesellschaftspolitik zu denken. Übrigens wird stets darauf geachtet, den Begriff „Homophobie“ nicht genauer zu definieren, so daß gegen jedem Mißliebigen zu Felde gezogen werden kann. Angetreten ist die Homosexuellenbewegung nach eigenem Verständnis als Befreiungsbewegung, geschaffen aber hat sie Mißtrauen, Verleumdung, Überwachung und ein Klima der Angst.

 

Mathias von Gersdorff, der 46jährige Publizist ist Leiter der Deutschen Vereinigung für eine christliche Kultur (DVCK) und der Aktion Kinder in Gefahr (KIG) in Frankfurt am Main. Der katholisch orientierte, aber kirchlich unabhängige Verein engagiert sich seit seiner Gründung 1983 mit Publikationen und Protestkampagnen für die „Wiederherstellung der christlichen Zivilisation“ im allgemeinen und für den Schutz von Kindern, Jugendlichen, Ehe und Familie sowie gegen die Sexualisierung der Gesellschaft im besonderen. Er verlegt umfangreiche Aufklärungsbroschüren zu verschiedenen Themenkomplexen, wie „Horror, Gewaltverherrlichung und Okkultismus in den Medien“ (2008), „Die sexuelle Revolution erreicht unsere Kinder“ (2005) oder „Angriff auf die Familie“ (2003). Kontakt: Emil-von-Behring-Straße 43, 60439 Frankfurt am Main, Telefon: 0 61 72 / 68 04 170 www.dvck.de   www.aktion-kig.de

 

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