© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Rote Mogelpackung
Die Linkspartei verharmlost den Kommunismus: Als Koalitionspartner ist sie desavouiert
Detlef Kühn

Als vor zwanzig Jahren die kommunistischen Regime in der DDR, in Osteuropa und bald darauf auch in der scheinbar so mächtigen Sowjetunion implodierten und sang- und klanglos von der Bühne der Weltpolitik abtraten, die sie fast ein Jahrhundert lang beherrscht hatten, schien das Thema „Kommunismus“ für immer erledigt. Es wurde den Historikern übergeben, die sich unverzüglich – auf der Basis der nun oft geöffneten Archive – ans Werk machten. Ihre Ergebnisse kann man in umfangreichen Bibliotheken studieren. Sie waren nur selten neu. Wer wollte, konnte zumindest im Westen das Wesentliche schon früher wissen: Kommunismus ist eine Weltanschauung, die ursprünglich gut gemeint war und im historischen Materialismus auch auf einigen zutreffenden Beobachtungen beruhte, deren praktische Nutzanwendung aber überall nicht zu weniger, sondern zu mehr Elend führt, zu Terror und Unterdrückung, Massenmorden und allgemeiner Verarmung. Schließlich erkannten auch einstmals führende Kommunisten: Die Idee war vielleicht gut gemeint; in der Praxis ist sie unbrauchbar, ja schädlich. Auf der Straße kann man sich damit nicht mehr sehen lassen.

Es ist das „Verdienst“ von Gesine Lötzsch, Ko-Vorsitzende der Partei „Die Linke,“ deren Ahnengalerie direkt zur kommunistischen DDR-Staatspartei SED führt, mit diesem Tabu gebrochen zu haben, indem sie sich in aller Unschuld auf die Diskusssion der Frage „Wo bitte geht’s zum Kommunismus?“ einließ. Das mag eine Instinktlosigkeit oder gar ein schwerer taktischer Fehler gewesen sein, wie viele ihrer Genossen mutmaßen, als Anti-Kommunist muß man ihr jedoch für ihre Offenheit beinahe dankbar sein. Sie hat mit ihrer Wortmeldung bewiesen, daß der Kommunismus doch nicht so tot ist, wie seine Gegner und Opfer schon geglaubt hatten.

Auch diese Erkenntnis kam nicht ganz überraschend. Wer nach Rußland reist, sieht vielerorts Denkmäler, nicht nur für den Gründervater der Sowjetunion Lenin, sondern auch für seinen Nachfolger Stalin, einen politischen Massenmörder, der – viel mehr noch als Lenin – Millionen von „Klassenfeinden“, aber auch eigene kommunistische Genossen auf dem Gewissen hat und die Verantwortung für das bislang größte KZ-System der Welt, den „Archipel Gulag“ (Alexander Solschenizyn), trägt. Dennoch wird das Bild Stalins im heutigen Rußland Wladimir Putins oft freundlich gemalt, vor allem weil er den „Großen Vaterländischen Krieg“ gegen die deutschen „Faschisten“ gewonnen hat – als Teil eines Weltkriegs, an dessen Ausbruch er 1939 durch seinen Pakt mit Hitler aktiv beteiligt war. Etwas von diesem „Glanz“ fällt heute auch in Deutschland auf Stalins treuen Gefolgsmann Ernst Thälmann, nach dem noch immer Hunderte von Straßen benannt sind.

Der Fall Thälmann gibt einen Hinweis, warum die Linke sich so schwer tut, auf das Ziel Kommunismus als (utopisches) Paradies auf Erden zu verzichten. Diese quasireligiöse Vorstellung gibt ihr scheinbar eine moralische Überlegenheit über alle anderen Parteien, die rechts von ihr stehen und sich mühen, im täglichen politischen Kampf Probleme zu lösen und dabei das Ziel der größtmöglichen Gerechtigkeit nicht völlig aus den Augen zu verlieren, auch wenn sie wissen oder wenigstens ahnen, daß es auf Erden wohl nicht zu erreichen sein wird. Linke können dagegen auf diese Weise den Kampf gegen alles, was rechts ist, wirksam führen. Würden sie zugeben, daß Kommunisten noch größere Verbrechen als Nationalsozialisten begangen haben, bräche dieser Kampf in sich zusammen.

Deswegen ist die Antwort auf Gesine Lötzschs Frage nach dem Weg zum Kommunismus so wichtig. Wer weiß, daß es das Paradies auf Erden nicht geben kann, muß klarstellen, daß es auf der Suche nach dem Kommunismus nur weitere Verbrechen geben wird. Es darf den Linken nicht gestattet werden, immer nur auf nationalsozialistische Verbrechen hinzuweisen und die eigenen als bloße „Fehler“ zu bagatellisieren, die man beim nächsten Versuch schon vermeiden werde.

Die stalinistischen Verbrechen, die nicht nur Stalin selbst anzulasten, sondern systemimmanent gewesen sind, müssen genauso zur Kenntnis genommen und aufgearbeitet werden wie andere, um die heute in Deutschland ein skurriler Schuldkult getrieben wird. Auch bei ihnen gilt es zu vermeiden, daß Verbrechen wiederholt werden. Und noch etwas ist wichtig: Die Linkspartei muß anerkennen, daß ihre Vorgängerin, die SED, ein Kind Stalins und damit Teil des weltweiten stalinistischen Terrors war, gleichgültig, wie man zu einzelnen „Errungenschaften“ wie Kitas oder Polytechnischen Oberschulen stehen mag. In der DDR war sicherlich nicht alles schlecht, wie auch im Dritten Reich, aber letztlich überwogen Unfreiheit, mangelnde Rechtsstaalichkeit und offenkundige Verbrechen.

Gesine Lötzsch hat sich – überrascht von dem Echo der von ihr leichtfertig losgetretenen Diskussion – auf die Aussage zurückgezogen, sie sei für demokratischen Sozialismus, nicht für Kommunismus. Aber ist das nicht nur ein anderes Wort für dieselbe Idee? Bereits in der DDR haben sich die Machthaber, vermeintlich auf dem Wege zum Kommunismus, als demokratische Sozialisten verstanden. Aber das war nicht der Demokratiebegriff des Grundgesetzes. Lassen wir der Linkspartei derartige Mogeleien nicht durchgehen. Sie muß jetzt Klartext reden und ihre ideologischen Ziele offenbaren. Von ihren dubiosen linksextremen, zum Teil gewaltbereiten Demonstrationspartnern am vergangenen Wochenende in Berlin hat sie sich bisher nicht distanziert. Darauf müssen alle anderen politischen Parteien entsprechend reagieren.

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts.

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