© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Tiefe Risse in der Fauststadt
Geothermiekraftwerk löste Erdbeben aus / Erdwärmebohrungen verursachten in Staufen Millionenschäden
Volker Kempf

Im pfälzischen Landau bebte am 15. August 2009 die Erde: Zuerst wurde eine Magnitude von 2,7 auf der Richterskala gemessen, dann 1,6. Im September 2009 gab es sechs weitere Erdbeben, die zum Glück nur Schäden wie Risse im Putz oder in Tapeten verursachten. Kleinere Beben sind im Ober-rheingraben nicht ungewöhnlich. Doch in diesen Fällen gingen Experten sofort davon aus, daß das 2007 in den Probebetrieb gegangene Geothermiekraftwerk Landau die Beben ausgelöst hat.

Das Kraftwerk nutzt 160 Grad heißes Thermalwasser aus einer Tiefe von etwa 3.000 Metern zur Stromerzeugung und Wärmeversorgung. Anschließend wird das auf 50 Grad abgekühlte Wasser über ein zweites Bohrloch in den Untergrund zurückgepumpt. Das rheinland-pfälzische Umweltministerium richtete eine Expertengruppe zur Ursachenanalyse ein. Nun liegt das Gutachten vor. Darin heißt es, daß das Geothermiekraftwerk Landau „sehr wahrscheinlich“ für mehrere kleine Erdbeben in der Region verantwortlich ist. Seit der Inbetriebnahme des Erdwärmekraftwerks habe auch die Zahl der nicht spürbaren Mikroerdbeben zugenommen. Wahrscheinlichste Ursache dafür sei eine Erhöhung des Porenwasserdrucks, die durch die Injektion von Wasser in tiefe Gesteinsschichten hervorgerufen worden sei. Nun soll es erst einmal ein Moratorium für neue Erdwärmeprojekte geben. Ein Mediationsverfahren soll zwischen Geothermiebetreibern und Bürgern vermitteln.

Auch 180 Kilometer weiter südlich im Badischen lautete die Hoffnung auf saubere Energie Erdwärme. Gerade einmal 104 Meter tief wurde im Herbst 2007 in Staufen im Breisgau gebohrt. Dann begann sich der historische Stadtkern des 7.800-Einwohner-Städtchens um elf Millimeter pro Monat zu heben. Die Sondierungsbohrungen hatten eine Verbindung zwischen einer Schicht unter Druck stehenden Wassers und einer darüber liegenden 40 Meter dicken Schicht mit Anhydrit (CaSO4) geschaffen. Das Kalziumsulfat und das Wasser verbinden sich zu Gips, dessen Volumen sich nach dem Aufquellen verdoppelt.

Die Schwellgeschwindigkeit konnte durch das Anzapfen von Grundwasser auf ein Drittel abgeschwächt werden und soll, wenn alles planmäßig verläuft, in zwei Jahren annähernd zum Erliegen kommen. Bis zu 30 Zentimeter hat sich der Boden in Staufen in den vergangenen drei Jahren schon gehoben. Ende 2010 zählt die unter Denkmalschutz stehende historische Altstadt Staufen über 260 Häuser, die durch die Hebung des Untergrundes Rißschäden aufweisen. Der Gesamtschaden an Gebäuden wird auf 50 Millionen Euro geschätzt – die gleiche Summe muß übrigens auch der Geothermiebetreiber Geox in Landau per Haftpflichtversicherung abdecken.

Am meisten hat es das historische Rathaus von Staufen getroffen, das kurz vor der Katastrophe saniert wurde. Die Fassade ist von Rissen gezeichnet und macht auf Laien einen einsturzgefährdeten Eindruck. Ein Teil des Gebäudes, in dem sich das Stadtbauamt befand, mußte tatsächlich geräumt werden. Da der Boden sich zu wölben begann, öffneten sich Spalten bis zu einer Breite von bis zu zehn Zentimetern. Viele weitere Schäden bleiben dem oberflächlichen Betrachter verborgen. Die Lokalpresse berichtete aber ausführlich von stärkeren Schäden, die sich oft in Kellern befänden. Ein Café habe Fußböden schon zweimal erneuern müssen, weil sich die Fliesen immer wieder hoben und Stolpergefahren darstellten.

Längst laufen Klagen gegen die Bohrfirma. Doch selbst wenn die Stadt Staufen beim Landgericht Freiburg Erfolg haben sollte, wird das nötige Geld über die Versicherungen nicht hereinzuholen sein. Schließlich geht es nicht nur darum, Schäden zu behandeln, sondern auch um den finanziellen Verlust von Immobilienwerten. Das Land Baden-Württemberg ist nun gefordert, deren Behörden haben die Bohrungen genehmigt. Auch der Bund soll helfen – schließlich wurde im 2009 vom Bundeskabinett verabschiedeten Geothermiebericht der Erdwärme eine große Zukunft vorausgesagt.

Milliarden für die Bankenrettung aber keine Hilfe für Staufen? Diesen Vorwurf wollte CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus angesichts der Landtagswahl im März nicht riskieren und versprach zur Jahreswende Hilfe aus öffentlichen Kassen. Die Stiftung zur Erhaltung der historischen Altstadt Staufen unter dem Vorsitz des früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel sammelt auch Geld für Sanierungsarbeiten. Eine 55-Cent-Briefmarke mit 25 Cent Zuschlag wird in der Region in einigen Läden verkauft und ist darüber hinaus im Internet erhältlich ( www.staufenstiftung.de ). „Staufen darf nicht zerbrechen“, heißt es neben einem abgebildeten rissigen Tonkrug auf der Briefmarke. Nachbargemeinden haben ebenfalls schon gespendet. Doch die Beträge reichen nur für Notfälle. Risse sind bis jetzt meist nur notdürftig geflickt. Dafür hat sich ein Risse-Tourismus in Staufen eingestellt, ein Nebeneffekt, den die Fauststadt gerne in Kauf nimmt.

Als Konsequenz aus der Panne mit dem einst so zukunftsverheißenden Erdwärmeprojekt sprach das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) in Freiburg eine Tiefenbeschränkung für Bohrungen in einen Untergrund aus, der quellfähiges Gestein bergen könnte. Nicht betroffen seien Erdwärmebohrungen oberhalb der betreffenden Schicht, dennoch gäbe es seit 2007 weniger Genehmigungsanmeldungen. Das könne konjunkturelle Gründe haben, aber auch auf ein „Imageproblem“ zurückzuführen sein, meinte LGRB-Chef Ralph Watzel in der Badischen Zeitung.

Unter dem geplanten unterirdischen Hauptbahnhof in Stuttgart liegen ebenfalls Anhydritschichten, die aufquellen könnten – das ist Wasser auf die Mühlen der  „Stuttgart 21“-Kritiker. Geothermische Bohrungen seien nicht mit Tunnelbauten gleichzusetzen, argumentieren die Befürworter. Die Arbeiten fänden in bescheideneren Tiefen statt und seien baulich anders. Am Anhydrit werde Bahnhofsneubau nicht scheitern müssen, gab sich Watzel sicher.

Foto: Risse in einer Häuserwand in Staufen: Bis zu 30 Zentimeter hat sich der Boden in den vergangenen drei Jahren schon gehoben

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen