© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Frisch gepresst

Ungarn. Ungarn ein antisemitisches Nest? Ein Land, das seine kommunistische Vergangenheit nicht verarbeitet hat? So negativ sieht der österreichische Dauerkorrespondent Paul Lendvai die Lage in seinem Geburtsland. Spätestens seit dem letzten Regierungswechsel seien die Magyaren endgültig auf Abwegen. Lendvai beschreibt den Weg von der Wende von 1989 zum neuen, heftig kritisierten Premier Viktor Orban klar strukturiert und leicht lesbar. Aber es ist eben immer nur seine Sicht der Dinge: Für Paul Lendvai ist Ungarn zum „kranken Mann Mitteleuropas“ geworden, und schuld sind vor allem die Ungarn selbst. Fakten stören da eher: Die Magyaren haben das höchste BIP im früheren Ostblock hinter der Tschechei – „kranke Männer“ sehen anders aus. Diese falsche Grundannahme paßt zur Einseitigkeit des Werkes. Der Autor beschwert sich zudem in seinem Vorwort über Geheimdienstspitzel, deren Opfer er selbst auch geworden sei. Jedoch: Inzwischen kursiert das Gerücht, er selbst könnte für den ungarischen Geheimdienst gearbeitet haben. Davon steht in dem Buch kein Wort. (rg)

 

Goebbels. Die bundesdeutsche Zeitgeschichtsforschung nimmt mehr und mehr scholastische Formen an. Mit unerschütterlicher Beharrlichkeit wiederholt sie ihre „ewigen Wahrheiten“. Peter Longerichs Biographie über den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels (1897–1945), illustriert auf 900 Seiten, wie weit diese scholastische Petrifizierung inzwischen schon fortgeschritten ist. Keiner der durchweg wohlwollenden Rezensenten unserer „Leitmedien“ hat in diesem Wälzer nur die Andeutung eines Erkenntnisfortschritts gegenüber den gefühlten zehn Dutzend Goebbels-Monographien entdecken können, die bereits die Regale füllen. Longerich sei dafür wie einst Ralf Georg Reuth ähnlich „emsig in der Auswertung der Hauptquelle“, der 32 Bände „Goebbels-Tagebücher“-Edition des Instituts für Zeitgeschichte, gewesen. So höflich wie Bernd Sösemann in seiner FAZ-Besprechung (13. Dezember) kann man Longerichs zitatenselige Kolportage von des Doktors narzißtischen Notaten natürlich auch umschreiben. Ein überflüssiges Buch. (wm)

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