© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Israel und Palästina
Ausnahmezustand
Rolf Stolz

Die Israelis, unsere nahen Verwandten im Nahen Osten, sind noch durchmischter als die Deutschen. Viel Europa, viel Orient, schwarze Juden aus Äthiopien und sogar ein paar zum Judentum übergetretene amerikanische Schwarze (daran glaubend, daß ihre jüdischen Urahnen von den Römern nach Afrika verschleppt wurden): Israel ist ein Schmelztiegel der Ursprünge, Hautfarben und Wanderungsgeschichten. Dann das eine Drittel Muslime (schneller wachsend als die jüdischen Noch-Zwei-Drittel), die wenigen Christen (nur zwei Prozent, meist Araber), die kleinen Sondergruppen wie die sehr staatstreuen Drusen.

Über allem zwei ungelöste Fragen: Was wird erstens aus dem mehr schlecht als recht palästinensisch  verwalteten Judäa und Samaria („Westbank“) und dem Sonderfall Gaza, was aus dem Golan und Ostjerusalem? Wie können zweitens in Kern-Israel die Muslime integriert werden in einen Staat, dem viele feindlich gegenüberstehen und der durch politisches Fehlverhalten oft genug Anlaß zur Feindschaft liefert. Hinzu kommen die vertraglich gezügelte, begrenzte Feindschaft Ägyptens, Jordaniens und der Türkei, die unbegrenzte Feindschaft fast aller anderen islamischen Länder und die Abhängigkeit von den immer unberechenbarer werdenden Vereinigten Staaten.

Außerdem droht ein sich zunehmend orientalisierendes Israel, in einen kalten Bürgerkrieg zwischen Orthodoxen und Säkularen, Konservativen und Liberalen, Ultrazionisten und extremen Antizionisten zu geraten.

Und dann die Politiker: Nach den großen Gründergestalten wie Ben Gurion und Golda Meir nun orthodoxe Traumtänzer und Amokläufer, ausgelaugte Sozialdemokraten. Die Korruption breitet sich epidemisch aus. Keine einzige große Idee, nur Phrasen und Verrat an den eigenen langfristigen Interessen. „Land gegen Frieden“ – aber Fatah und Hamas schreiben weiter in die Schulbücher, daß Israel verschwinden muß, ob nun durch Krieg oder den Endsieg an der Geburtenfront.

Ein kleines Erlebnis aus diesem Herbst: Vor den Augen israelischer Polizisten üben in Jerusalem arabische Kinder mit Holzgewehren und Palästinensertuch für später, rattert ein Plastik-Maschinengewehr. Die Feuerschrift leuchtet an der Wand – wer wird sie deuten, wer wird handeln, wie es notwendig ist?

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

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