© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Umwelt
Tunguska gelöst?
Volker König

Am Vormittag des 30. Juni 1908 schienen sich im Tunguskagebiet in Sibirien nördlich von Irkutsk die Tore der Hölle zu öffnen: Urplötzlich ereignete sich eine gewaltige Explosion, die in einem Radius von der Fläche des Saarlandes rund 60 Millionen Bäume wie Streichhölzer umknickte. Rentierherden verbrannten, die Lager von Nomaden in dem Gebiet wurden ausgelöscht. 14 Explosionen seien nacheinander zu hören gewesen, und der gewaltige Feuerball, der sich zum Himmel erhob, ließ sogar im fernen Europa noch den Nachthimmel leuchten. So gewaltig diese Explosion war, so rätselhaft ist ihre Ursache bis heute geblieben.

Im Jahr 1927 konnte eine Expedition des russischen Mineralogen Leonid Kulik in das unwegsame Sumpf- und Taigagebiet vordringen. Er vermutete, daß die Verwüstungen das Ergebnis eines Meteoriteneinschlages waren. Jedoch fand man keinen Krater, und im Zentrum der Explosion gab es weniger Zerstörungen als im Umkreis. So schossen in der Folgezeit die Spekulationen ins Kraut. Es habe sich um ein „Schwarzes Loch“ gehandelt, meinten Astronomen, während Physiker die Überzeugung verfochten, Antimaterie-Beschuß aus dem All habe die Explosionen ausgelöst.

Das vulkanische Gas entzündete sich, und riesige Feuersäulen schossen in die Höhe.

Jetzt wartete auf der Tagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union in San Francisco der Geophysiker Jason Phipps Morgan von der Cornell University in Ithaca/New York mit einer neuen, plausibel scheinenden Theorie auf: Die Katastrophe von Tunguska müsse ein „Verneshot“ (benannt nach Jules Verne) sein, eine Explosion, die sich zusammenbrauen kann, wo die Erdkruste besonders dick ist. Dort sich stauende Magma könne über keinen Vulkan abfließen, es sammele sich vulkanisches Gas. Dem Druck halte die Erde nicht mehr stand. Die Gasblase habe den Waldboden durchbrochen, das Gas entwich, entzündete sich und riesigen Fackeln gleich schossen die Feuersäulen in die Höhe, um sich zu einem gigantischen Feuerpilz zu vereinigen. Gestützt werde diese These durch Risse, die sich durch die Taiga der Tunguska ziehen: Entgasungsspalten, wie man sie an Orten von Gas- oder Magma-Ausbrüchen findet.

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