© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

„Jeder zweite Berliner“
Internetblog: Eine Schriftstellerin sucht nach allem, was in Berlin mit Schlesien zu tun hat
Lion Edler

Die Geschichte beginnt damit, daß die Germanistin Roswitha Schieb vor dem Neptunbrunnen am Berliner  Alexanderplatz steht und eine verblüffende Entdeckung macht: Eine der vier Flußgöttinnen des Brunnens, nämlich die mit dem Ziegenfell, stellt die Oder dar, denn das Fell verweist auf den Breslauer Wollmarkt. „Überraschend heimatlich zumute“ sei ihr da geworden, erinnert sich Schieb, deren Eltern aus Schlesien vertrieben worden sind. Das Erlebnis sollte sie nicht mehr loslassen.

Schieb machte sich auf die Suche nach Spuren schlesischer Kultur in Berlin – in der Annahme, daß alles längst dokumentiert sei. Doch sie ist auf eine Leerstelle der Forschung gestoßen: Über das jüdische, russische oder hugenottische Berlin gibt es jede Menge Material. Doch beim schlesischen Berlin wird es schwierig.

Im nächsten Jahr will Schieb ihren Schatz an Entdeckungen über schlesische Einflüsse in einem Buch veröffentlichen. Bis es soweit ist, nährt sie schon mal mit ihrem Internet-Blog „Jeder zweite Berliner“ die Neugier auf das Buch. Dieser soll aber kein Vorabdruck sein, sondern sich vielmehr mit dem Buch ergänzen. Zweimal wöchentlich erscheint dort ein Beitrag über Schlesisches in Berlin, von Kunst und Architektur über Musik bis hin zur schlesischen Küche. Vor kurzem etwa hat sie den Lesern eine schlesische Backstube im Berliner Stadtteil Charlottenburg vorgestellt. Der Großvater der Bäckerei kommt aus der Gegend von Oppeln und hat von dort seine Backrezepte mitgebracht, darunter verschiedene Mohnkuchen.

Und auch dies erfahren wir auf der  Internetseite Roswitha Schiebs: Dem schlesischen Theaterkritiker Alfred Kerr fehlten in Berlin immer nur zwei schlesische Dinge, nämlich Bauerbissen (eine Art Pfefferkuchen) und schlesische Mohnklöße. Kerr stimmte regelrechte Arien auf den Bauerbissen an: „Bauerbissen, du bist ein Mythus, du lächelst herüber aus der Geisterwelt, grüßend und dich neigend und einsam verschwindend.“

 www.jeder-zweite-berliner.de

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