© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Des Reiches Herrlichkeit
Fern jeder Sinnstiftung: Die Stauffer-Ausstellung in Mannheim weist erhebliche Leerstellen auf
Hansgeorg Meierstein

Das Mittelalter hat Hochkonjunktur: Ritterspektakel, Burgenfeste, Mittelalter-Märkte, Kostümierungen und Gewandungen, irische und gotische Musik, Mystisches und Mythisches, Zeitschriften, Internetshops usw. befriedigen landauf landab das Bedürfnis nach romantischer Gewalt. Da kommt die Ausstellung „Die Staufer und Italien“, die die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim präsentiert, gerade recht. Die Objekte und Exponate (dokumentarische Kostbarkeiten und Artefakte aller Art), die als Abbilder eines lange vergangenen politischen oder monastischen Lebens den Geist jener Zeit bezeugen, sind in ihrer Fülle durchaus dazu angetan, sich der Faszination dieser ferngerückten Epoche hinzugeben und sich in ein glanzvolles Zeitalter deutsch-italienischer Symbiose und auch in dessen finstere Züge hineinzuträumen. Das ist schon viel in einer Zeit der Geschichtsverneinung.

Das deutsche Imperium sah sich als Erbe Roms

Die Ausstellung will den Blick des Besuchers auf die drei Regionen lenken, wo die Schwerpunkte staufischer Macht und Kultur zu orten sind: auf den Rhein-Neckar-Raum, Oberitalien und das Königreich Sizilien. Was zum Vorschein kommen soll, sind die unterschiedlichen Lebensordnungen, die verschiedenen kulturellen Prägungen und regionalen Facetten und auch der kulturelle Vorsprung Italiens, der die mittelalterlichen Kaiser bewog, dem Drang nach Süden nachzugeben. So war es sicher nicht nur der Kampf ums Imperium, der die Staufer dorthin zog, sondern auch die Majestät einer fremden, neuen Welt.

So weit, so gut. Aber ein paar Ungereimtheiten trüben das Bild. Die Vielzahl der Handschriften, Münzen, Skulpturen und Gegenstände des kirchlichen Lebens fügt sich nicht so recht in ein Gesamtbild und erscheint dem Betrachter eher etwas verwirrend. So wird die welthistorische Rolle der Staufer und der Gegensatz von Imperium und Sacerdotium allenfalls am Rand thematisiert. Dabei schafft erst die Kaiseridee mit ihrer religiösen Überhöhung ein Anrecht auf die Reichslehen in Italien, was insbesondere wichtig war in Hinsicht auf die wohlhabende Lombardei. Die imperiale Idee war eine der großen politischen Ideen der Weltgeschichte. Das deutsche Imperium sah sich in das Erbe Roms eingesetzt, und damit konnte der Herrschaftsanspruch der Ottonen, Salier und Staufer eindrucksvoll abgeleitet werden. Daraus erklärt sich überhaupt erst die Rezeption der Antike im Hochmittelalter.

Ganz wesentlich war dabei die eschatologische Dimension der Reichsidee, die beseligende Erwartungen auf einen herrlich ausgemalten Endzustand der Geschichte in einem Goldenen Zeitalter des Gottesreiches wachrief. Das sind Gedanken, die zu den Kernbegriffen des Katholischen gehören und die Einheit der Respublica Christiana begründen und bis in die politische Theologie der zwanziger Jahre weitergedacht werden, in der katholischen Akademikerschaft, in der Abtei Maria Laach, von Alois Dempf, Carl Schmitt und Franz von Papen diskutiert wurden. In solchen christlichen Staatsentwürfen und Rechtstiteln liegt der Grund für den mittelalterlichen Kampf um Rom.

Über diese mythischen Zustandsbilder und Erlösungsbotschaften erfährt man in der Ausstellung ebenso wenig wie über die mitreißenden, von den geistlichen Orden getragenen Reformbewegungen der Zeit und über die Kreuzzüge unter der Führung der staufischen Kaiser. Das Papsttum hat sich immer wieder gegen die kaiserliche Oberherrschaft gestellt und konnte dabei auf den Beistand eigensüchtiger deutscher Fürsten und der reichen Kommunen Norditaliens zählen. Über den mit Leidenschaft und großen Opfern auf beiden Seiten ausgefochtenen Kampf schweigt sich die Ausstellung weitgehend aus. Dabei hat dieser viele Jahrzehnte dauernde Krieg um die Vormacht eine ungeheure Sprengkraft in ganz Europa entwickelt.

Ein Manko ist auch, daß die in der Stauferzeit einsetzende Weltbejahung, die hochgestimmte Weltzuwendung, die die weitschweifige Lebensausschmückung der Renaissance schon vorwegnimmt, nicht fokussiert wird. Daß das Rittertum nunmehr zur gesellschaftlichen Aristokratie aufsteigt und die ritterlich-höfische Dichtung zu den großen kulturschöpferischen Leistungen des Hochmittelalters zählt, daß nun das Gute, Schöne, Werthafte und ein neues, geistig-sittliches Menschentum zur Grundlage gesellschaftlicher Leitbilder werden, wird nicht in den Blick gebracht. Dabei war es die märchenhafte Pracht des Orients, die auf dem Weg über Italien auch die adelige Kultur in Deutschland verzaubert und mit dazu beigetragen hat, daß sich die hohe ästhetische Formkultur der Stauferzeit und die Empfänglichkeit für alle Lebensfreude im Hofstaat voll entfalten konnten. Das adelige und fürstliche Leben fand zu höchsten Ausdrucksformen, und Ästhetik wurde gleichsam zu einem Mysterium erhoben.

Die Geschichte berichtet uns von dem von Zehntausenden besuchten Hoffest zu Mainz an Pfingsten 1184, bei dem Friedrich I. als glanzvoller Mittelpunkt einer heroisch ausgemalten ritterlichen Welt erscheint. Das Hoffest war eine Heerschau der deutschen Ritterschaft und insofern auch ein Nationalfest, und als solches wurde es auch von den Dichtern der Zeit gerühmt. Den Höhepunkt bildete die Festkrönung des Kaiserpaares und der Ritterschlag der ältesten Söhne Heinrich und Friedrich durch Barbarossa selbst. Eine ganz neue adelige Selbstdarstellung drückt sich in der Kultivierung des höfischen Lebens in den Formen des Heldenlebens aus: Da wird eine diesseitige höfische Glückseligkeit stilisiert, ein neues Selbstgefühl.

Genierlich ist freilich, was die Ausstellung in einer nachgestellten filmischen Inszenierung daraus macht: Das hanebüchene und unsäglich alberne Ritterspektakel, das hier gezeigt wird, ist ohne historische Würde und tiefere Bewandtnis.

Enttäuscht ist der Betrachter auch von der Präsentation der Eßkultur an der Kaiserpfalz Gelnhausen. Was sieht man in Mannheim? Einige Keramikscherben, zwei tote Vögel, ein Eichhörnchen als Jagdtrophäe, Äpfel und Birnen. Das widerspiegelt – fälschlicherweise – ein Leben am Hof von geradezu hinterwäldlerischer Bescheidenheit. Man will Details erfassen und kann sich beim wirklich Wichtigen nicht aufhalten. Dabei weiß jeder Mediävist, daß eine Hoftafel einem liturgischen Zeremoniell gleichkam, dem ein strenges Ritual zugrunde lag: mit genauer Sitzordnung, üppiger Speisenfolge, musikalischen und literarischen Darbietungen, Spielen und Tänzen und einem hohen Anspruch an Gestik und Mimik, Haltung und Bewegung, Sprache und Kleidung. Und so und mit allem Prunk und Pomp wird es gewesen sein, als Kaiser Friedrich I., gerade aus Italien kommend, 1186 zu Gelnhausen einen triumphalen Reichstag abhielt, auf dem sich alle deutschen Bischöfe für ihn erklärten.

Spürbare Ängstlichkeit vor nationalem Pathos

Indes erscheint in der gezeigten Computer-Simulation nicht nur die Pfalz Gelnhausen als leerer, geschichtsloser Ort, sondern auch die sagenumwobene Burg Wildenberg im Odenwald, auf der Wolfram von Eschenbach seinen Parzival schrieb. Und warum zeigt man nicht die gelungenen Nachbildungen der Reichskleinodien, die auf dem nahen Trifels bei Annweiler in der Pfalz aufbewahrt werden?

Unausrottbar ist auch das politisch-korrekte Klischee von der multikulturellen mittelalterlichen Stadt. Natürlich gilt dies nur, wenn man geflissentlich ignoriert, daß das Stadtleben bestimmt war von einem festen Rahmen strengster Lebensformen mit einer kategorischen Ordnung der Stände, Beziehungen und Zeremonien, auch mit einer unnachsichtigen Hierarchie von Kleidung, Stoffen, Farben, Mützen, Kappen usw. Da galten genau fixierte formale Satzungen, und jede Handlung, jedes Ereignis war eingebunden in einen tradierten Lebensstil. In dieser Sphäre des Geordneten gab es keine Beliebigkeiten und keinen liberalen Strafvollzug. Und außerdem lauerten auf den mühseligen und langwierigen Fußreisen Tausende von Gefahren, so daß die meisten Menschen keine Veranlassung sahen, die vertraute Heimat zu verlassen.

Vieles, was den Gang der Stauferzeit ausmacht – die Stimmungen, Sehnsüchte, Impulse, Irrtümer, Widersprüche und Unfaßlichkeiten, kurz: die verschiedenen Erlebnisebenen und Schubkräfte –, bleibt ausgeblendet, wird nicht in ein starkes Bild gefaßt. Auch ist die Ängstlichkeit vor nationalem Pathos spürbar, aber damit auch die Unsicherheit, mit der man sich der Epoche genähert hat. So erklärt sich das Bestreben, sich auf die antiquarische Deskription von einzelnem zu bescheiden und von jeder geschichtlichen Sinnstiftung abzusehen. Immerhin wird wenigstens die Erinnerungsspur wieder aufgenommen und manches Vergangene durch Anschauung erneuert.

Die Ausstellung „Die Staufer und Italien“ ist bis zum 20. Februar in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim täglich von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 12 Euro. Telefon: 06 21 / 2 93 31 50

Zur Ausstellung sind ein Katalog und ein Essayband erschienen (zusammen 800 Seiten mit etwa 1.000 meist farbigen Abbildungen). Er kostet im Museumsladen 39,90 Euro www.staufer2010.de

Fotos: Thronender König, Norditalien, um 1230–1235: Mittelalterliche Staufer-Kaiser drängte es nach Süden, Augustalis Kaiser Friedrichs II.

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