© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Durch die Wälder, durch die Auen
Immergrünes Meisterwerk: Carl Maria von Webers „Freischütz“ als Kinofilm
Sebastian Hennig

Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ steht am Beginn der Musikkultur der nachklassischen Zeit. Das Bewußtsein der Eigenart der Stämme und Völker Europas bekundete sich am wirkungsvollsten in jener Kunstgattung, welche die Gefühle unmittelbar anspricht. Die Sublimation von Volkstum und Lokalkolorit ist bezeichnend für die Nationalopern und sinfonischen Dichtungen in dieser Nachfolge, ob nun Smetana Böhmens Hain und Fluren, Leos Janacek den Singsang der mährischen Marktfrauen oder Sibelius Kareliens Landschaft in Tonfolgen verwandelten. Hector Berlioz schwärmte über Webers Opus magnum: „Es gibt nichts ähnliches mehr! Das ist göttliche Kunst! Das ist Poesie! Das ist die Liebe selbst!“

So wirkte Webers Werk direkt stiftend für mindestens eine Nationalkultur. Denn in Rom macht der Franzose den jungen Michael Glinka mit dem Werk bekannt und verweist auf die Bedeutung einer national gebundenen Musiksprache, die der Russe später für sein Volk erfüllen wird. Ein schönes Paradoxon, wie die Besinnung auf das Eigenste über Volksgrenzen hinweg die Selbstbegegnung des ganz Anderen hervorruft.

Auch der Knabe Richard Wagner ist der bittersüßen Droge Weberscher Musik verfallen. Als er später seinem Idol im Dresdner Kapellmeisteramt nachfolgt, läßt er dessen Leichnam aus London überführen und mit einem festlichen Akt auf dem Katholischen Friedhof in der Dresdner Friedrichstadt bestatten.

Im Marcolini-Palais auf der anderen Straßenseite wohnte Wagner einige Zeit. In seinem Geburtsjahr entschied sich dort das weitere Schicksal Napoleons. Eine Aussprache mit dem Fürsten Metternich machte jenem deutlich, daß er die Österreicher nun gegen sich hatte. Im Spätsommer 2009 wurden hier einige Szenen für den Musikfilm „Der Freischütz“ gedreht. Zuvor wurde der Ton in den Abbey Road Studios mit dem London Symphony Orchestra unter Daniel Harding und einem Ensemble deutscher Sänger eingespielt. René Pape, Juliane Banse oder Olaf Bär leihen nicht nur ihre famosen Stimmen, sie sind auch als Darsteller überzeugend. Eine ausgezeichnete Textverständlichkeit sichert die dramatische Schlüssigkeit der Filmhandlung. Räumliche Tonwirkungen mit zurücktretendem und vorwirkendem Klang entsprechen den Nah- und Fernaufnahmen. Die Kameraführung reagiert rhythmisch auf die musikalische Handlung. Das wirkt manchmal etwas unruhig, doch die Oper hat hier über den Film gesiegt.

Das Werk bedient sich auf originelle Weise der vielfachen Überkreuzung von politischer, künstlerischer und lokaler Bedeutung. Während die ursprüngliche Legende „Der Freyschütze“ auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgeht, wird im Film der Hintergrund der Napoleonischen Kriege herangezogen. Das ist auch insofern sehr bezeichnend, weil wir von den Befreiungskriegen zeitlich ungefähr so weit entfernt sind wie die Menschen von 1821 von der Zeit Wallensteins. Die lokale Schützentradition bildete die Voraussetzung für die Volkserhebung gegen Napoleon, die 1809 im Norden des Reiches durch den Sachsen Ferdinand von Schill und im Süden durch den Tiroler Schützen Andreas Hofer entfacht wurde.

Dresden war dem Regisseur wichtig, nicht nur als Lebensort und Inspiration für Weber, sondern weil die Stadt eine Schlüsselstellung im Geschehen jener Zeit innehatte. Das begann mit dem Fürstentreffen in Pillnitz zum Zwecke einer europäischen Allianz gegen die französischen Unruhen. Zweimal erscheint Napoleon pantomimisch im Film; gegen Ende der Handlung unterzeichnet er im Festsaal des Schlosses Moritzburg einen Vertrag, infolgedessen die Besatzer das Land verlassen. Die Uraufführung des „Freischütz“ erfolgte beziehungsreich am 18. Juni 1821, dem sechsten Jahrestag der Schlacht von Waterloo, in Berlin. Die erste Vorstellung war ein Triumph und der Beginn eines beispiellosen Siegeszuges über die Bühnen der Welt.

Richard Wagner gab dem „Freischütz“-Gefühl emphatischen Ausdruck: „Oh, mein herrliches deutsches Vaterland, wie muß ich dich lieben, wie muß ich für dich schwärmen, wäre es nur, weil auf deinem Boden der ‘Freischütz’ entstand! Wie muß ich das deutsche Volk lieben, das den ‘Freischütz’ liebt, das noch heute, im Mannesalter, die süßen, geheimnisvollen Schauer empfindet, die in seiner Jugend ihm das Herz durchbebten!“

Im Dorf Hosterwitz nahe des Schlosses Pillnitz bewohnte Weber ein ländliches Haus. Nur wenige Kilometer weiter tritt der Wandernde in die bizarre Felsenlandschaft der Sächsischen Schweiz ein. Dort fand sich um die Schweizermühle im Bielatal die Wolfsschlucht der Filmhandlung. Der Waldboden ist bedeckt von den Leichnamen der gefallenen Krieger. Mehr als 3.000 Komparsen aus der Region wirkten mit. Der Finalchor wird von Mitgliedern aus einem guten Dutzend sächsischer Laienchöre gespielt und gesungen. Das Festtreiben am Schluß des Dramas hat nicht nur die private Glückseligkeit des jungen Liebespaares zum Anlaß, sondern gleichzeitig wird das ganze Land von dem Alpdruck der Besatzung befreit.

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