© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Der Zwang, sich bedeckt zu halten
Eine kurze Geschichte der konservativen Intelligenz nach 1945 (IV): Der Umbruch in den Sechzigern
Karlheinz Weissmann

Als 1959, mit fast einjähriger Verspätung, die Festschrift zum 70. Geburtstag Carl Schmitts erschien, war das ein Politikum. Rudolf Smend, Schmitt zeitweise freundschaftlich verbunden, dachte sogar daran, die renommierte Vereinigung der Staatsrechtslehrer aus Protest zu veranlassen. Smend nahm schließlich Abstand von der Idee, obwohl er Schmitts Haltung nach 1945 scharf mißbilligte und in der Ehrengabe einen weiteren Hinweis auf dessen Unbelehrbarkeit sah. Schmitt seinerseits betrachtete sich als Opfer jenes „kalten Bürgerkriegs“, den Entnazifizierung und folgende Vergangenheitsbewältigung ausmachten, und nahm die Anerkennung seiner Schüler mit Genugtuung zur Kenntnis.

Was Smend und viele andere beunruhigte, war die Tatsache, daß Schmitt eher verdeckt als offen intellektuellen Einfluß gewann. Ein Tatbestand, der um so irritierender wirkte, als die Verfemung Schmitts im Laufe der Nachkriegszeit eher zu- als abgenommen hatte. Trotzdem wirkte „das Gespräch in der Sicherheit des Schweigens“ auf eine Generation von jüngeren Intellektuellen, die bleibend fasziniert waren von dem Alten aus Plettenberg.

Soweit es um politische Wirkung im engeren Sinn ging, kann man drei Gruppen von „Schmittisten“ unterscheiden: diejenigen, die vor allem dem geschichtsphilosophischen Ansatz Schmitts folgten, in erster Linie Serge Maiwald, Hanno Kesting und Reinhart Koselleck; diejenigen, die an der juristischen Linie interessiert waren, aus der ein neuer Etatismus abgeleitet wurde, etwa Werner Weber, Roman Schnur und Helmut Quaritsch, überhaupt der ganze Kreis um die 1962 gegründete Zeitschrift Der Staat; schließlich noch die, die aus Schmitts Schriften eine Praxis ableiten wollten, zu denen man vor allem Winfried Martini und Armin Mohler rechnen mußte, in gewissem Sinn noch Rüdiger Altmann und Johannes Gross.

Die Erwähnten markierten auch einen Generationenwechsel im konservativen Lager, sie gehörten (bis auf Gross) zu den Kriegsjahrgängen, hatten ihr Studium erst in der Nachkriegszeit absolviert und nur ausnahmsweise einen direkten Weg an die Universität gefunden, suchten ihr Auskommen in der Wirtschaft oder im Journalismus. Was ihren „Schmittismus“ betraf, konnten sie sich kaum offen zu ihrem Lehrer bekennen. Es tritt hier deutlich hervor, was auch sonst von Bedeutung ist für die Stellungnahmen der geistigen Rechten: der Zwang, sich in bestimmten Fragen bedeckt zu halten, so daß die eigentliche Auffassung nur „per exclusionem“ (Hans-Joachim Arndt) faßbar wird, durch Wahrnehmung dessen, was man nicht sagt.

Das Buch „Krise und Kritik“ (1959) des Historikers Koselleck, das nachhaltig von Schmitts These beeinflußt war, daß man es seit dem 18. Jahrhundert mit einem großen subversiven Prozeß zu tun habe, der den Staat zerstört und den „indirekten Gewalten“ zur Macht verhalf, kann man als Extrembeispiel für dieses Verfahren ansehen. Am anderen Ende des Spektrums stand Martini, der als erster nach dem Ende des NS-Regimes wieder offen und ohne Vorbehalt auf Schmitt rekurrierte. Seine Bücher „Das Ende aller Sicherheit“ (1954) und „Freiheit auf Abruf“ (1960) waren Bestseller der frühen Bundesrepublik, wurden intensiv diskutiert, gerade weil sie die Selbstverständlichkeit der Demokratie in Frage stellten und für ein gemäßigt-autoritäres System plädierten.

Eine Wiederholung dieses Vorgehens verbot sich nach dem politischen Klimasturz Anfang der sechziger Jahre. Es lag insofern näher, auf einen Umweg zu setzen, wie den von Altmann und Gross, die sich ausgerechnet Ludwig Erhard zur Verfügung stellten, um nach dem Ende der Ära Adenauer in eine günstige Einflußposition zu kommen. Tatsächlich gelang es Altmann, Erhard den Begriff „Formierte Gesellschaft“ zu soufflieren. Gedacht war an eine Kreuzung aus freier Marktwirtschaft und starkem Staat, eine Ordnung, wie Erhard sagte, „die nicht mehr von sozialen Kämpfen geschüttelt und von kulturellen Konflikten zerrissen ist, deren Leistungsfähigkeit aber auch nicht mehr, wie im Zeitalter des Imperialismus, von der Beherrschung kolonialer Rohstoffquellen und Absatzmärkte abhängig ist – nur eine solche in den Funktionen gebundene, aber keineswegs in der Form erstarrte Gesellschaft ist in der Lage, dem modernen Staat in seiner wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Entwicklung ein festes Fundament zu geben“.

Armin Mohler setzte auf Franz Josef Strauß

Mit der „Formierten Gesellschaft“ ging es darum, dem Ostblock einerseits, dem amerikanischen Konzept der grand society andererseits eine deutsche Alternative entgegenzustellen, eine klassenlose Leistungsgemeinschaft, in der Lage, die Fliehkräfte des Pluralismus zu bändigen, ohne ins Totalitäre umzuschlagen. Das Projekt entsprach in hohem Maß den Überlegungen des später so apostrophierten „technokratischen Konservatismus“ und mußte auch auf die staatstragende Mittelschicht anziehend wirken. Allerdings reagierte Erhard auf die linke Kritik, die in der „Formierten Gesellschaft“ natürlich eine moderne Variante des Faschismus sah, allzu ängstlich und fehlte dem „wamperten Professor“ (Gross über Erhard) letztlich der politische Wille, um seine Vorstellung gegen Widerstände in der eigenen Partei durchzusetzen.

Obwohl Mohler persönliche Kontakte zu Altmann und Gross hatte, war er immer auf Distanz zu Erhard geblieben. Er hielt wenig von der „Formierten Gesellschaft“, die seiner Meinung nach keine Antwort auf die Frage gab, ob und wenn ja auf welche Weise unter den Bedingungen der Gegenwart „reine Politik“ möglich sei. Schon das erklärt seine Parteinahme für Franz Josef Strauß während der Spiegel-Affäre und in den folgenden Jahren, als man den nach Bayern abgeschobenen, von der Linken als „bösen schwarzen Mann“, von den übrigen als gefährlichen Konkurrenten Erhards eingestuften CSU-Vorsitzenden für unberührbar hielt.

Mohler war keineswegs blind für Schwächen und Fehler von Strauß, aber er sah in ihm den geeigneten Mann, um an die Spitze einer neuen Bewegung zu treten, die in der Lage sein sollte, den wachsenden Einfluß der Progressiven zurückzudrängen und gleichzeitig die Deutschen aus jener Erstarrung zu lösen, in die sie durch Niederlage und Wirtschaftswunder verfallen waren. Das Modell dafür lieferte der französische Gaullismus, von dem Mohler auch eine außenpolitische Konzeption übernahm: das Zusammengehen mit dem Nachbarn in bezug auf die atomare Bewaffnung, die Selbständigkeit zwischen den Blöcken, die Fühlungnahme mit China, um Europa und damit der Bundesrepublik mehr Handlungsspielraum zu verschaffen.

Für eine gewisse Zeit war die Verbindung zwischen Mohler und Strauß sehr eng, zumal der CSU-Vorsitzende in dem Publizisten einen nützlichen Alliierten sah, um seinen zahllosen Kritikern im Bereich von Kultur und Medien entgegenzutreten. Tatsächlich repräsentierte Mohler mit seinem Freund Caspar von Schrenck-Notzing und einigen Jüngeren, darunter vor allem die Brüder Marcel und Robert Hepp, eine intellektuelle Potenz, keine Nur-Antikommunisten, nicht so betulich-bürgerlich wie die Älteren, aber offen für jede Art von Zusammenarbeit, die die Position der geistigen Rechten stärken würde. Deshalb unterstützte Strauß auch Mohlers Plan, den Springer-Konzern deutlicher konservativ auszurichten. Eine Absicht, die zuletzt genauso scheiterte wie die, eine bundesweit agierende CSU aufzubauen. Es hatte das vor allem mit der Zögerlichkeit der führenden Männer zu tun, des Politikers Strauß wie des Verlegers Springer, die auf die Entwicklung, die sich seit Mitte der sechziger Jahre abzeichnete, keineswegs entschlossen reagierten.

Letztlich gehört ’68 in die Geschichte von „massenhaften Geistesverwirrungen, Geißlerbewegungen, Kinderkreuzzügen, (…), religiös-verrückten Alleinvertretungsansprüchen und ihren mörderischen Auswüchsen“ (Peter Rühmkorf). Was auch etwas erklärt von der Unwiderstehlichkeit der dramatischen Veränderung, ihrer Anziehungskraft sogar auf die, bei denen man Immunität vermutet hätte. Schmitt zeigte jedenfalls eine seltsame Sympathie für jene Linke, die nicht nur seine „Theorie des Partisanen“, sondern auch sein Politikverständnis interessierte. Die unangenehme Neigung, sich bei – tatsächlichen oder potentiellen – Macht-Habern anzubiedern, führte sogar dazu, daß er Mohler, seinen treuen Paladin, fallenließ; und 1971 äußerte er, der Katechon des 20. Jahrhunderts heiße: Mao.

Den fünften Teil dieser auf insgesamt acht Folgen angelegten JF-Serie des Historikers Karlheinz Weißmann lesen Sie am 7. Januar in der JF-Ausgabe 2/11.

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