© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Brücken des Verstehens bauen
Interview: Victor Hanna Jubrail Batarseh, Bürgermeister von Bethlehem, über Weihnachten in der eingemauerten Stadt
Johannes Zang

Wie wird Weihnachten in Bethlehem gefeiert?

Batarseh: Weihnachten ist die Zeit zum Feiern für Bethlehem. Bethlehem ist ja die Wiege der Christenheit. Wir haben schon begonnen, die Straßen und den Christbaum zu schmücken, der von unserem Präsidenten Mahmoud Abbas entzündet wird. Wie jedes Jahr feiern wir Weihnachten, obwohl wir immer noch unter Belagerung hinter dieser Mauer der Trennung leben.

Feiern alle einheimischen Christen Weihnachten zusammen?

Batarseh: Wir haben dreimal Weihnachten in Bethlehem. Am 25. Dezember ist Weihnachten für die römisch-katholische Kirche sowie die Protestanten. Am 7. Januar feiern die Griechisch-Orthodoxen und am 18. Januar die armenische Kirche. Am Heiligen Abend gibt es einen Gottesdienst in der Geburtskirche – und unser Präsident Mahmoud Abbas besucht tatsächlich dreimal die Messe. An allen drei Weihnachtsfesten.

Kann die von Ihnen erwähnte israelische Trennmauer die Weihnachtsfeierlichkeiten behindern?

Batarseh: Ich hoffe nicht. Wir hoffen, daß Israel die Grenzen öffnet, damit die Pilger und Touristen nach Bethlehem ohne Schwierigkeiten einreisen können. Das ist meine Hoffnung.

Als Jesus vor 2000 Jahren geboren wurde, litt das Land unter römischer Besatzung. Seit 1967 leben mittlerweile fast vier Millionen Palästinenser unter israelischer Militärbesatzung. Es scheint sich gar nicht so viel geändert zu haben?

Batarseh: Letzten Endes ist es Besatzung, damals wie heute. Und die israelische Besatzung müssen wir zum Ende bringen. Wir müssen diese Mauer der Trennung abbauen. Wir müssen Brücken der Liebe und des Verstehens zwischen den Völkern bauen.

Die Botschaft von Weihnachten ist die des Friedensfürsten. Tun sich Christen in Bethlehem schwerer, an Frieden zu glauben, als Christen in Berlin oder Barcelona?

Batarseh: Das ist sicher so. Wir als Christen im Heiligen Land glauben grundsätzlich an Frieden. Aber leider sehen wir ihn hier in unserer Region nicht kommen. Israel ist so stur, Israel will keinen Frieden, sondern ein Stück Land. Wir als Palästinenser haben die Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert, Israel jedoch leider nicht. Israel baut weiterhin Siedlungen. Wenn Israel weiterhin diese Siedlungen baut, können wir unter keinen Umständen einen lebensfähigen palästinensischen Staat haben. In ein bis zwei Jahren wird kein Land mehr da sein, um einen existenzfähigen palästinensischen Staat zu errichten. Selbst die Vereinigten Staaten haben es aufgegeben, Israel zum Siedlungsstopp zu drängen. Das ist sehr schlimm. Obama hat sich einfach so gebeugt. Dabei sollten die USA Israel zwingen, Resolutionen der Vereinten Nationen umzusetzen.

Welche Weihnachtsbotschaft haben Sie für die Welt?

Batarseh: Wir als Muslime und Christen in Palästina wollen Frieden. Wir wissen, daß wir Frieden nicht mit Mauern erreichen werden. Meine Weihnachtsbotschaft ist immer die unseres Friedens- und Liebesfürsten, unseres Herrn Jesus Christus. Der Stern von Bethlehem schickt immer wieder eine Botschaft des Friedens und der Liebe an jeden einzelnen Menschen auf diesem Planeten. Das ist meine Botschaft.

 

Dr. Victor Hanna Jubrail Batarseh (Jahrgang 1934), HNO-Arzt, ist seit fünf Jahren Bürgermeister der Geburtsstadt Jesu. Der unabhängige, römisch-katholische Politiker steht einem Stadtrat mit acht Christen und sieben Muslimen vor.

 

Bethlehem

Bethlehem, von drei Seiten umgeben von einer acht Meter hohen Mauer, ist eine palästinensische Stadt vor den Toren Jerusalems mit 32. 000 Einwohnern. Waren vor der Staatsgründung Israels 1948 etwa 90 Prozent der Einwohner Christen, so ist deren Anteil auf etwa ein Drittel geschrumpft. Der Zustrom palästinensisch-muslimischer Flüchtlinge, deren hohe Geburtenrate, Islamisierungstendenzen und damit einhergehende Diskriminierung veranlassen viele palästinensische Christen zur Auswanderung.

 

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