© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Ungleicher Machtkampf
Urteilsverkündung im Fall Chodorkowski: Ministerpräsident Putin zieht alle Register, um seinen Widersacher zu kriminalisieren
Anton Odenthal

Für Ministerpräsident Wladimir Putin ist die Sachlage klar: Ein „Dieb sollte im Gefängnis sitzen“. Die Verbrechen Chodorkowskis seien bewiesen und so gehöre der ehemalige Öl-Milliardär auch zum zweiten Mal verurteilt. Überhaupt hat Putin nie einen Hehl aus seiner Haltung gemacht. Chodorkowski habe „Blut an den Händen“, erklärte er im September. Ende Dezember – nach erfolgreicher Verschiebung in die stille Weihnachtszeit – wird mit der für den 27. Dezember angekündigten Urteilsverkündung ein Prozeß fortgesetzt, der durchaus Züge der berüchtigten Schauprozesse Stalins trägt.

Angeklagt ist ein Mann, der selbst Kader der kommunistischen Jugendorganisation „Komsomol“ war und in der Phase des beginnenden Zerfalls der Sowjetunion zu märchenhaftem Reichtum aufstieg: Michail Chodorkowski.

Sein Energiekonzern Yukos erhob sich nach einer schweren Finanzkrise im Jahr 1998 wie ein Phönix aus der Asche. Er unterstützte den Wahlkampf Jelzins massiv und wurde Stellvertreter des Ernergieministers. In dieser Zeit begann Chodorkowski eigene politische Ambitionen zu entwickeln, mit seinem Geld wurden oppositionelle Parteien gefördert, dabei berührten seine Interessen die des aufstrebenden Ex-KGB-Offiziers Wladimir Putin, der längst erkannt hatte, daß Rußlands Gas und Öl eine „mächtige Waffe“ in der Weltpolitik sind.

Während Chodorkowski noch 2002 auf einem Foto im Gespräch mit Putin zu sehen war, sank sein Stern bereits, weil sein Gegenüber instinktiv die Gefahr spürte, die von diesem Öl-Oligarchen ausging, wenn er zur nächsten Präsidentschaftswahl 2008 antreten würde. Im Herbst 2003 wurde Chodorkowski verhaftet und im Mai 2005 wegen Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt, die er in einer sibirischen Strafkolonie verbringt. Yukos geriet unter die Kontrolle des Staates. 

 Doch das Duell ist längst nicht vorüber. Viele Beobachter gehen davon aus, daß es bei der kommenden Präsidentschaftswahl wieder eine Bewerbung von Putin geben wird. Deshalb ist nur folgerichtig, daß er seinen Widersacher schuldig spricht.

Ob Richter Viktor Danilkin im zweiten Prozeß, der Chodorkowski die Unterschlagung von Öl zur Last legt, nur ein Urteil verliest, welches durch Putins Juristen gefertigt wurde, bleibt ein Geheimnis. Sicher ist, daß die nächsten Präsidentschaftswahlen ohne einen Bewerber Chodorkowski stattfinden.

 Dessenungeachtet hat der Angeklagte in seinem Schlußplädoyer mit dem „korrupten“ System Putin abgerechnet und Richter Danilkin ins Stammbuch geschrieben, daß er nicht über das Schicksal eines einzelnen entscheide: „Das Schicksal jedes Bürgers unseres Landes steht auf dem Spiel.“

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