© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

 „Christfest an der Front“
2010 rang die Politik sich dazu durch, den Konflikt in Afghanistan endlich beim Namen zu nennen. So erleben deutsche Soldaten erstmals seit 1945 wieder offiziell eine Kriegsweihnacht.
Moritz Schwarz

Pfarrer Kronenberg, Sie kommen eben von den deutschen Truppen aus Afghanistan zurück. Christbaum im Unterstand, Weihnachtsfeldpost und „Wunschkonzert der Wehrmacht“ – alles wie man es aus den Weltkriegsberichten von damals kennt?

Kronenberg: Man muß das Jahr 2010 ganz realistisch sehen: Das Christfest ist ein hochemotionaler Tag für uns Deutsche. Das „Wunschkonzert“ kommt von unserem wunderbaren Soldatensender „Radio Andernach“. Es gibt Weihnachtsschmuck im Feldlager, bergeweise Lebkuchen, kleine Geschenke vom Ministerium ...

Was schenkt der Minister seinen Soldaten?

Kronenberg: Noch ist nicht Heiligabend – im letzten Jahr war es, glaube ich, eine CD. Viel wichtiger aber sind Feldpost und Päckchen der eigenen Angehörigen. Fast könnte man von einer Renaissance des Briefs im Zeitalter von E-Mail und Internet sprechen.

Inwiefern?

Kronenberg: Das kann man sich in der Heimat gar nicht vorstellen: Zweimal in der Woche gibt es in Afghanistan für die Truppe Post, und das ist jedesmal ein kleines Fest! Denn ein echter, am besten handgeschriebener Brief gewinnt unheimlich an Bedeutung. Ich persönlich habe schließlich privat sogar ganz auf elektronische Kommunikation verzichtet. Ein Feldpostbrief verkörpert einfach ein Stück Heimat und Nähe. Sie können ihn anfassen, mit sich tragen, immer wieder lesen. Die Feldpost ist eine Brücke zur Heimat, deren Bedeutung man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Das ist etwas völlig anders, als wenn zu Hause der Briefträger vorbeikommt. 

Auch am Weihnachtsabend geht der Einsatz allerdings weiter.

Kronenberg: Natürlich, denn es ist ja quasi Weihnachten an der Front, nur daß es in Afghanistan keine Front im klassischen Sinne gibt. Denn dort ist nirgendwo und überall Front: Die Bedrohung ist nicht vor uns, sondern um uns. Es ist ein Guerillakrieg.

Sie haben bereits selbst Gefallene auf ihrem letzten Wege begleiten müssen.

Kronenberg: Ich habe Todesnachrichten an Angehörige überbracht und sie bei den Trauerfeiern betreut. Zuletzt den am 7. Oktober getöteten Fallschirmjäger Florian Pauli, 26, der einem Selbstmordattentat-Angriff zum Opfer fiel und dessen Überführung ich im deutschen Feldlager in Termes/Usbekistan, wohin seine Leiche von Kundus zunächst ausgeflogen worden war, begleitet habe.

Die Bundeswehr hat lange versucht, allem – als „martialisch“ verunglimpften – explizit militärischen Gepräge auszuweichen, bis sie sich den Forderungen aus der Truppe, wie etwa nach der jüngst eingeführten neuen Gefechtsmedaille (JF berichtete), nicht mehr widersetzen konnte.

Kronenberg: Die Realität des Krieges ist eine andere als die von Bürokraten. Der Einsatz verändert die Bundeswehr. Und es ist doch klar, daß die Soldaten für besondere Verdienste auch nach einer besonderen Auszeichnung verlangen. Als etwa der Oberfeldwebel Pauli erkannte, daß der Mann, der sich an jenem 7. Oktober seiner Gruppe näherte, kein einfacher Bauer, sondern ein Selbstmordbomber war, hat er sich auf ihn geworfen, um die Wucht der Explosion abzufangen und so seine Kameraden gerettet. So ein Mann ist in meinen Augen ein Held und sollte zu recht postum mit der neuen Medaille geehrt werden.

Stellt ein solcher Todesfall den Einsatz für die Soldaten in Frage?

Kronenberg: Nein, keinesfalls.

Es gibt die Theorie, wenn nur einmal „genug“ deutsche Soldaten auf einmal fallen, bräche die Moral zusammen.

Kronenberg: Das halte ich für völlig unwahrscheinlich, so wie ich die Soldaten dort kennengelernt habe, würde das nicht passieren. Die Männer sind von ihrem Auftrag überzeugt und werden ihn erfüllen. Die Soldaten versuchen ja auch nicht, sich vor Patrouillen zu drücken und im Lager zu bleiben – auch nach Anschlägen nicht. Die deutsche Truppe läßt sich nicht einschüchtern und ist keine „Räterepublik“.

Hätten die Soldaten denn gerne mehr Mann und Material, um in die Offensive zu gehen?

Kronenberg: Nein, das habe ich nicht erlebt. Zwar, wie gesagt, zögern die Soldaten nicht, ihren Auftrag durchzuführen, aber ich habe dort keinen kennengelernt, der kriegslüstern wäre.

Denkt der Soldat über den Tod nach?

Kronenberg: In unserer Vorausbildung setzen wir uns durchaus mit solchen Fragen intensiv auseinander. Und da wir eben von Weihnachten sprachen: Ich wage zu behaupten, daß in den Herzen der meisten Soldaten im Einsatz, gerade auch wegen der Todesgefahr, sogar eher wirklich Weihnachten ist, als bei vielen von uns hier in der Heimat.

Was meinen Sie?

Kronenberg: Man nimmt dort alles sehr viel intensiver wahr. Ich habe zum Beispiel den letzten großen gemeinsamen Feiertag vor Weihnachten, den Tag der Deutschen Einheit, noch nie so stark erlebt und bewußt begangen wie jetzt in diesem Jahr in Afghanistan. Und auch die Gottesdienste im Einsatz sind meist intensiver und existentieller.

Die Soldaten werden christlicher durch den Einsatz?

Kronenberg: Zumindest führt der Einsatz dazu, daß viele sich verstärkt fragen:  Woher? Wohin? Und vor allem wozu? Junge Männer, die sich in der Heimat vielleicht nicht so mit der Thematik beschäftigt hätten, werden hier schon eher nachdenklich. Viele Leute stellen sich Soldaten außerhalb ihres Einsatzes vor allem „daddelnd“ und biertrinkend vor. Aber ich habe viele Gespräche mit ihnen geführt und viereinhalb Monate mit ihnen gelebt: diese Männer fangen oft verstärkt an, ihr Leben zu überdenken.

Das Klischee, Soldaten sind allesamt oberflächlich ...

Kronenberg: ... stimmt so nicht!

Sie sagen, man kommt als anderer Mensch aus dem Einsatz zurück.

Kronenberg: Ja, denn man sieht dort Dinge, denen man hier so nicht begegnet, und man erlebt eine Gemeinschaft, wie man sie hier in der Heimat nicht kennt – das prägt. Als Soldat im Einsatz lebt man sehr viel intensiver zusammen und ist viel mehr auf seine Kameraden und seinen Auftrag konzentriert, als das zu Hause möglich ist. Nervende Alltagssorgen wie: „Steht mein Nachbar schon wieder auf meinem Parkplatz?“ spielen dort keine Rolle. Alles ist reduziert auf das Wesentliche und dadurch gewinnt das, was übrigbleibt, eine ganz andere Bedeutung.

Eine Art Front-Sozialismus?

Kronenberg: Nein, es hat sicher nie eine demokratischere Armee gegeben als die Bundeswehr. Aber Opferbereitschaft für die Sache und Hingebung für die Kameraden: In unserer von Egoismus, Hedonismus und Unverbindlichkeit geprägten Welt ist das eine intensive Gegenerfahrung.

Glauben die Soldaten noch an den Erfolg ihrer Mission?

Kronenberg: Die meisten sind zuversichtlich, sie glauben an das, was sie tun.

Was heißt das konkret? Stellen die Soldaten sich tatsächlich vor, sie werden die Taliban militärisch besiegen?

Kronenberg: Nun, wir bauen Strukturen auf, und das sieht man. Man spürt einfach, was man schafft und daß es vorangeht – aller hiesigen negativen Berichterstattung und Meinungsmache zum Trotz.

In neun Jahren Krieg ist die Lage allerdings stetig schlechter geworden.

Kronenberg: Das stimmt für einige Regionen des Landes. Und es wird wohl kaum gelingen, das ganze Land bis zum Abzug der westlichen Truppen zu stabilisieren, aber einige Regionen schon. Und es muß sich dann zeigen, ob das genug war, damit das Land von diesen Stützpunkten der Stabilität aus aufgefangen werden kann.

Eine ziemlich spekulative Strategie, der die meisten Fachleute keine Chance geben.

Kronenberg: Sie müssen immer bedenken, daß unsere Gegner, die Taliban, nicht ganz Afghanistan sind. Ganz im Gegenteil, sie sind nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung und beim normalen Afghanen eher unbeliebt. Auch die Afghanen träumen wie wir davon, in Frieden zu leben. Für die meisten sind die Taliban ungeliebte Unruhestifter.

Ist der von Außenminister Guido Westerwelle für 2011 angekündigte Abzugstermin realistisch?

Kronenberg: Wer vermag das zu beurteilen.

Was soll sich denn bis dahin so grundlegend verändert haben?

Kronenberg: Ich wiederhole, wenn es uns gelingt, bis dahin Strukturen zu schaffen, die dem Land für die schwierige Phase danach einen gewissen Halt geben, dann wäre das der Erfolg.

Experten beurteilen den Abzugstermin als politisch motiviert, nicht militärisch gerechtfertigt. Fühlen sich da nicht viele Soldaten von den Politikern verraten und verkauft?

Kronenberg: Das gibt es natürlich  auch. Aber meine Erfahrung ist, daß Enttäuschung über die Politik nicht größer oder kleiner ist als bei den übrigen Deutschen in der Heimat.

Was wird nach dem Abzug von dem Einsatz bleiben?

Kronenberg: Die Bundeswehr wird am Afghanistan-Einsatz gewachsen sein, da bin ich ganz sicher. Das entschiedene Engagement und der Einsatzwille der deutschen Soldaten haben mich beeindruckt.     

 

Ulrich Kronenberg, kehrte jüngst aus dem Feldlager „Camp Warehouse“ der Isaf (Logo rechts) in Kabul zurück, wo er die dort stationierten deutschen Soldaten sowie die Luftwaffenunterstützungs-Einheit der Bundeswehr in Termes/Usbekistan (an der Nordgrenze Afghanistans) im Einsatz seelsorgerisch betreute. Der ehemalige Leutnant der Artillerietruppe (links, im November auf dem Flughafen Kabul) wurde 1965 bei Koblenz geboren, war Soldat auf Zeit, studierte evangelische Theologie und ist heute Militärpfarrer der Bundeswehr-Garnisionen in Speyer und in Germersheim.

Foto: Deutsche Truppen gehen bei Kundus in Stellung (Anfang Dezember 2010): „Afghanistan ist eine intensive Gegenerfahrung zu unserer von Egoismus und Hedonismus geprägten Welt“

 

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