© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Seehofer-Besuch
Skandal in Prag
von Wolfgang Philipp

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rund 3,5 Millionen Deutsche aus ihrer Heimat in Böhmen und Mähren vertrieben, mehr als 300.000 Menschen wurden umgebracht. Ursache hierfür waren die Dekrete des tschechischen Staatspräsidenten Beneš, die später in Verfassungsrang erhoben wurden und noch heute gelten.

Bei dem als „historisch“ apostrophierten Gespräch des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer mit dem tschechischen Regierungs-chef Petr Necas Anfang dieser Woche wurde das Thema „Vergangenheit“ beiseite geschoben und der Blick „gemeinsam in die Zukunft“ gerichtet. Damit ist das Problem aber nicht gelöst: Da die Tschechische Republik der EU angehört, sind diese Dekrete jetzt nicht mehr nur ein deutsch-tschechisches, sondern ein europäisches Problem. Sie sind gerade nicht Vergangenheit, sondern ein gegenwärtiger Bestandteil einer europäischen „Rechtsordnung“. Dies haben die Organe der EU bisher nicht zur Kenntnis genommen: ein Skandal, der die Rechtsgrundlagen Europas unterminiert. Und skandalös ist auch, daß sich die Prager Regierung weigerte, die in Seehofers Delegation mitgereisten Vertreter der Sudetendeutschen zu empfangen. Die Tschechen kommen nicht daran vorbei, ihre Vergangenheit ebenso aufzuarbeiten, wie dies die Deutschen getan haben. Die Aufrechterhaltung des Unrechts ist mit einer gemeinsamen europäischen Rechtskultur nicht zu vereinbaren.

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