© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Ein Mann mit dem richtigen Stallgeruch
Hilft der neue Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ wieder auf die Beine?
Patrick Schmidt

Die mit einer Druckauflage von 520.257 Exemplaren (verkaufte Auflage 438.100) größte deutsche Tageszeitung steckt in den roten Zahlen. Ob der neue Chefredakteur die Süddeutsche Zeitung (SZ) aus der Krise führen wird, steht noch in den Sternen. Unter anderem deshalb, weil „der Neue“ kaum bekannt ist. Jeder Leser kennt die Namen der Chefredakteure deutscher Printmedien wie Giovanni di Lorenzo (Die Zeit) oder Kai Diekmann (Bild). Hinter dem Namen Kurt Kister hingegen steht ein Fragezeichen. Der 53jährige, der 2011 das Zepter von Hans Werner Kilz übernehmen soll, ist vergleichsweise unbekannt.

Ein Name, der sofort mit der Süddeutschen verbunden wird, ist neben dem des „Investigativjournalisten“ Hans Leyendecker (61) vor allem Heribert Prantl (57). Letzterem, dem Ressortleiter Innenpolitik, wurden auch Ambitionen nachgesagt, aber er hat den Aufstieg an die Spitze der Zeitung wohl für immer verpaßt. So schnell wird es keinen neuen Wechsel geben. Seit 1951 hatte die SZ nur fünf Chefs – einschließlich des Noch-Amtsinhabers Kilz.

Was die Personalpolitik angeht, so kommt die Zeitung sehr konservativ daher. Kontinuität ist wichtig. Die wird auch deswegen durch Kister verkörpert, weil er als Journalist nie woanders gearbeitet hat als bei der Tageszeitung aus Bayerns Hauptstadt. 1983 hat Kister bei der SZ in München angefangen. Es folgten die Stationen Bonn, Berlin, Washington – die Traumkarriere eines Journalisten. Daß er überhaupt keine Erfahrungen bei anderen Blättern gesammelt hat, könnte aber auch ein Nachteil sein. Reformeifer bringen Insider selten mit. So wird alles beim alten bleiben, und das heißt, daß es weiterhin abwärts zu gehen droht (siehe Grafik).

Inhaltlich ist mit Sicherheit keine Wende in Sicht. Prantl und Kister stehen links, ein Gegengewicht gibt es nicht in der Redaktion. „Leser, die ihre linksliberalen Ansichten bestätigt sehen wollen, werden bei der SZ zuverlässig bedient“, unkt die Frankfurter Rundschau über ihr Konkurrenzblatt.

Kister arbeitet sich gerne an der CSU ab, zur Zeit vor allem an Karl-Theodor zu Guttenberg. Über den ersten Afghanistanbesuch des Verteidigungsministers schrieb er einen sarkastischen Text „Guttenberg, selbstleuchtend“, in dem er die Minister-Kleidung unter die Lupe nahm, die „Kaschmir-Jacke“, „die zartblaue Krawatte“, „die Wildleder-Schuhe“. Fazit: „Die Bundeswehr hat jetzt einen Minister, der früher selbst Unteroffizier war, und heute ganz eindeutig auch ein Dressman ist.“ Auch über den Besuch zu Beginn dieser Woche war Kister empört: Zu Guttenberg habe aus einem Job eine „Show“, einen „Egotrip“ gemacht.

Kister kann aber auch richtig draufhauen. 2009 fühlte er sich durch Wahlplakate des CSU-Abgeordneten Bernd Posselt belästigt: „In München, wo man auch die Fußgängerzone und den Preßsack mag, gilt Bernd Posselt möglicherweise als schöner Mann.“

Besonders hat Kister es auch auf Benedikt XVI. abgesehen. „Wir wollen nicht mehr Papst sein“, schrieb er am 4. Februar 2009. Er reihte sich damals pharisäerhaft in die Gruppe der Papst-Kritiker ein: Der „Fehler Benedikts“ – gemeint war die Wiederaufnahme der Pius-Brüder – habe eine „kleine Staatsaffäre“ ausgelöst. Kister schrieb dem Oberhaupt der katholischen Kirche Folgendes ins Stammbuch: „Zur deutschen Zivilreligion gehört das an christliche Werte angelehnte Menschenbild des Grundgesetzes. Zentraler Pfeiler ist aber auch das ‘Nie wieder’, die Bundesrepublik als staatlich organisierte Antithese zur Nazi-Diktatur.“ Gegen diese Regeln habe Benedikt verstoßen.

Seine Ernennung zum Chef im vergangenen Sommer war keine Überraschung mehr, nachdem Kister fünf Jahre lang als Stellvertreter von Kilz gewirkt hatte. Aus der Redaktion heißt es, er sei der Wunschkandidat der 300köpfigen Mannschaft gewesen. Der war vor allem daran gelegen, einen Kandidaten aus den eigenen Reihen und damit keinen externen Chef von den neuen Eigentümern aufgepropft zu bekommen. Kister gilt als Gegner des Sparkurses, der derzeit die SZ-Belegschaft verunsichert. Seine Wahl sichert den Betriebsfrieden.

Kister kommt oft als Zyniker daher, aber er verfügt vermutlich auch über einen Schuß Selbstironie. „Chefredakteure sind meist nicht so einflußreich, wie dies ihre Untergebenen glauben, sie sind praktisch nie so wichtig, wie sie sich selbst nehmen und sie wollen selten die Welt oder auch nur die Zeitung so verändern, wie ihnen das gerne von Lesern oder Zuschauern unterstellt wird“, schrieb er vor einem Jahr. Der Haken dabei: Er meinte nicht sich selbst, sondern Nikolaus Brender vom ZDF. Ob er selbst sich auch so sieht?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen