© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Reduziert auf das Typische
Doppel-Ausstellung: Die Bildhauer Fritz Klimsch und August Gaul im Museum Giersch in Frankfurt am Main
Claus-M. Wolfschlag

Von Autismus geprägt erscheint bisweilen der hiesige Kulturjournalismus, wenn das Thema Nationalsozialismus auch nur gestreift wird. Es geht in toto um die Jahrgänge 1850 bis 1929, die mittlerweile unter Generalverdacht gestellt sind. Möglichst sauber wird zwischen gut und böse geschieden. Begierig wird bei jeder Lebensäußerung dieser Generationen danach gesucht, ob dieser Schriftsteller oder Musiker oder jener Maler oder Bildhauer „Verstrickungen“ mit dem NS-System aufzuweisen hat. Darunter kann man alles oder nichts verstehen. Im einfachsten Fall, daß jemand einfach während der NS-Zeit seinem Beruf nachgegangen ist, statt Attentate zu planen oder Bomben für den Widerstand zu bauen, was er nach heutiger Erkenntnis besser hätte tun sollen.

So jedenfalls geht es in Teilen der Berichterstattung zu einer Werkschau des Bildhauers Fritz Klimsch zu, die derzeit im Frankfurter Museum Giersch zu sehen ist. In der Präsentation fehle eine „eingehendere Auseinandersetzung mit der Rolle dieses Künstlers im Dritten Reich. Und das ist zu wenig. Viel zu wenig“, schrieb Katharina Deschka-Hoeck in der FAZ. „Doch der Bildhauer ist zu wichtig, als daß man ihn allein an seinem unpolitischen Dasein messen sollte“, haderte Christian Huther in der Frankfurter Neuen Presse. Und in der Frankfurter Rundschau sinnierte Judith von Sternburg unwillig über den „NS-Günstling“, über die in seinem Werk vorhandene „nordische Rasse“ und über Hitlers Vertrauen zu Klimsch, ohne dann noch näher auf die in der Ausstellung gezeigte Kunst eingehen zu müssen.

Man fragt sich, was solche Form von Autismus sich als Resultat erhofft. Wieder eine „Verstrickung“ aufgedeckt? Wieder ein Handlanger des Bösen „enttarnt“? Wieder bestätigt, wie schlimm das damals alles war, und daß alle alles wußten und immer mitmachten? Wieder einmal bestätigt, daß wir heute aber zu den Guten gehören? – Und nun? Deckel zu? Wegsperren? Name getilgt? Kunstberichterstattung erledigt? Das ist wenig, viel zu wenig, möchte man dazwischenrufen.

Fritz Klimsch (1870–1960) entstammte einer alten Frankfurter Künstlerfamilie, studierte in Berlin und wurde zum Spezialisten für Porträts und Denkmäler. Das Frankfurter Stoltze-Denkmal wurde von ihm fertiggestellt. Er schuf auch die bekannte Bronzeplastik „Am Wasser“ auf dem Gelände der heutigen Frankfurter Universität.

Klimsch suchte in seinen Arbeiten stets das zeitlose menschliche Körper-ideal. In der Ausstellung zu sehen sind verschiedenartigste Werke aus den unterschiedlichen Schaffensperioden des Künstlers. NS-spezifisch ist daran nicht viel. Anfänglich schwanken seine Arbeiten zwischen Jugendstil und Klassik. Kleinplastiken der Tänzerinnen Valentine Petit und Carolina Otéro zeigen das stilisierte Spiel mit Bewegung und Linie in den Gewändern der kunstvoll verdrehten Frauenkörper. Ganz im Gegensatz dazu die statisch-klassizistische Marmorstatue der Meditation, nur wenige Jahre später erstellt. Der Kopie eines antiken Vorbildes gleichend, lehnt die halbnackte Schöne strahlend weiß an einem Pfeilerstumpf.

Klimsch findet seinen Stil schließlich in der schmucklosen Konzentration auf den weiblichen Akt, den er – meist sitzend oder ruhend – in immer neuen Posen einzufangen in der Lage war. Auffallend ist dabei, daß seine Männerporträts stärker individuellen Charakter zeigen, während bei den Frauendarstellungen die Tendenz in Richtung eines überindividuellen Ideals, eines Typus, geht.

Klimsch gehört zweifellos zu den prominenten Bildhauern, die auch in der Zeit des Nationalsozialismus auf öffentliches Gefallen stießen. Er dürfte sich dabei in der heutigen Akzeptanz zwischen dem recht angesehenen Georg Kolbe und dem umstrittenen Arno Breker bewegen. Schlußlicht des Interesses bildet bislang noch der weitgehend totgeschwiegene Josef Thorak. Goebbels jedenfalls kaufte bei Klimsch einige Werke an, und Hitler gab bei ihm eine Büste in Auftrag. Klimsch kam den Aufträgen nach, ohne der Partei beizutreten. Ein Widerstandskämpfer, wie heute gefordert, war er indes nicht. Diese „Verstrickung“ führte offenbar dazu, daß es seit Klimschs Tod im Jahr 1960 keine Ausstellung zu seinem Werk mehr gegeben hat. Auch ein Zeichen von Schäbigkeit des hiesigen Kulturbetriebs.

Die Schau findet im Rahmen einer Doppelausstellung statt. Neben den 57 Arbeiten Klimschs können 94 Plastiken von August Gaul (1869–1921) betrachtet werden. Klimsch und Gaul gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession. Der 1869 in Hanau geborene und dann in Berlin lebende Gaul gilt zudem als Pionier der modernen Tierplastik. Viele berühmte Tierstandbilder stammen aus seinen Händen, so etwa der Adler des Fliegerdenkmals auf der Wasserkuppe, der Esel im Garten des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt, ein im Berliner Tierpark Friedrichsfelde befindliches Löwenpaar, das vom ansonsten zerstörten Berliner Kaiser-Wilhelm-Denkmal stammt. Für den Berliner Zoo hatte Gaul eine Dauerkarte.

Die Novität an Gauls Figuren war, daß hier Tiere nicht nur als Stilmittel barocker Baurepräsentanz genutzt wurden, sondern die Tierplastik ein von der puren Funktion gelöstes Eigenleben erhielt. Konsequent gab Gaul deshalb seinen Objekten nun einen charakterlichen Ausdruck, der die Tierseele versinnbildlichte. Groß- und kleinformatig treten dem Museumsbesucher putzige Löwenbabies, gemütliche Orang-Utans, fressende Bären, Entenküken, buckelige Katzen und vergoldete Pinguine entgegen.

Gaul, der passionierte Zigarrenraucher, starb 1921. Dank seines frühen Todes ist ihm der heutige Kulturjournalismus gnädig gestimmt.

Die Ausstellung „Die Bildhauer August Gaul und Fritz Klimsch“ wird bis zum 30. Januar 2011 im Museum Giersch, Schaumainkai 83, gezeigt. Öffnungszeiten: Di.–Do. 12 bis 19 Uhr, Fr. bis 17 Uhr, Sa./So. 11 bis 17 Uhr. Der Katalog kostet 24 Euro. Telefon: 069 / 6 33 04-128 www.museum-giersch.de

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