© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Alles eine Frage des Preises
Föderalismus: Im Streit um die Hartz-IV-Reform deutet vieles darauf hin, daß sich die Bundesregierung mit der SPD im Vermittlungsausschuß einigen wird
Paul Rosen

Der deutsche Föderalismus hat einen unangenehm erscheinenden Nebenaspekt: Politische Entscheidungsprozesse können durch finanzielle Zuwendungen erleichtert werden. Das mußte die Union vor Jahren erleben, als sie mit ihrer Mehrheit ein Steuergesetz der rot-grünen Koalition im Bundesrat anhalten wollte. Der damalige Finanzminister Hans Eichel (SPD) hatte CDU-regierten Ländern zusätzliche Mittel versprochen. Prompt bekam Eichel eine Mehrheit zusammen, und die Unionsstrategen schauten in die Röhre.

In der Tat läßt sich der Bundesrat nicht als Korrekturinstrument der Opposition gebrauchen, weil die Länder jeweils eigene, sprich finanzielle Interessen haben. Daher reagierte die Bundesregierung gelassen, als das von CDU und FDP regierte Nordrhein-Westfalen wieder an Rot-Grün fiel. Der Anteil der Stimmen bürgerlich regierter Länder im Bundesrat sank auf 31 von 69 Stimmen. Länder mit Großen Koalitionen oder schwarz-gelb-grüne Bündnisse wie im Saarland pflegen sich im Bundesrat bei strittigen Sachverhalten im Regelfall zu enthalten.

Eigenartigerweise hat der Ausstieg der Grünen aus der Hamburger schwarz-grünen Landesregierung den Anteil der bürgerlichen Stimmen wieder auf 34 erhöht, da der derzeitige CDU-Minderheitssenat im Bundesrat nach eigenem Gutdünken vorgehen kann. Die Bundesregierung würde für die Reform der Hartz IV-Gesetze, die vom Bundestag Anfang Dezember beschlossen wurde, nur noch die Stimmen eines Landes benötigen, um die Erhöhung der Regelsätze um fünf Euro im Monat und das Bildungspaket für Kinder aus
Hartz-IV-Familien durchzubekommen

Der Blick fiel sofort auf das von einer schwarz-gelb-grünen Koalition regierte Saarland, das unter Verdacht geriet, Mehrheitsbeschaffer spielen zu wollen. Die Grünen bestritten jedoch, zustimmen zu wollen. „Wir sagen als Grüne Nein“, stellte Landeschef Hubert Ulrich am Dienstag in der Süddeutschen Zeitung klar. Es könnte nun der Fall eintreten, daß der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) gegen den Willen seines grünen Partners in der Bundesratssitzung an diesem Freitag als Stimmführer der drei saarländischen Stimmen (gesplittete Stimmabgabe ist nicht möglich) bei der Abstimmung über Hartz IV „Ja“ ruft und damit die Mehrheit herstellt. Das hat es unter anderen Vorzeichen gegeben, als der damalige Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) dem Gesetz über die doppelte Staatsbürgerschaft zustimmte, obwohl sein Koalitionspartner Jörg Schönbohm (CDU) dagegen war und dies auch in der Sitzung der Länderkammer kundtat. Der damalige Bundesratspräsident, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), wertete Brandenburgs Stimme als Ja und verhalf dem Gesetz damit zur Mehrheit. Das Bundesverfassungsgericht wertete die brandenburgische Stimme allerdings später als Enthaltung.

Bisher ist nicht bekannt, daß Müller sich so weit aus dem Fenster lehnen könnte wie damals Stolpe. Auch hat das Saarland keine spezifischen Interessen an der Hartz-IV-Reform. Möglich wäre noch, daß die Bundesregierung einem SPD-regierten Land in einer anderen Frage Entgegenkommen signalisiert und sich damit eine Mehrheit besorgt.

Wahrscheinlicher ist aber die Variante, daß der Gesetzentwurf im Bundesrat, wo keine Veränderungen an den Bestimmungen vorgenommen werden können, nicht die notwendige Mehrheit von 35 Stimmen findet und damit zunächst gescheitert wäre. In diesem Fall will die Bundesregierung sofort den Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat anrufen, wo Änderungsvorschläge gemacht werden können.

Wenn man sich die Rede des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel im Bundestag in Erinnerung ruft, der von einem Bildungs-„Päckchen“ im Gesetzentwurf gesprochen und Sozialministerin Ursula von der Leyen als „Verpackungskünstlerin“ bezeichnet hatte, dann ist klar, wohin die Reise gehen könnte: Der Bund wird mehr Geld in die Bildungsmaßnahmen für die zwei Millionen Hartz-IV-Kinder stecken müssen. Die SPD wird sich danach feiern lassen, weil sie etwas für die Armen getan hat. Und die Koalition kann zufrieden sein. Ihr Gesetz geht durch, es wird nur etwas teurer. So wie immer.

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