© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Wurst mit Feuer
„Curry & Chili“ lädt zum Schärfetest ein
Baal Müller

Wer an einer Berliner Imbißbude steht und dem Gespräch der Gäste lauscht, kann zuweilen den Eindruck erhalten, einem Austausch von Fachleuten beizuwohnen, bei dem es um „Scoville“ – die Maßeinheit für die Schärfegrade von Chili- und Paprikafrüchten – geht. Hier ist eine genaue Lektüre der Speisekarte angesagt, sonst kann der Genuß einer Currywurst für ungeübte Gaumen, denen etwa die bekannte Tabascosauce mit ihren laschen 3.000 Scoville bereits scharf vorkommt, zur Qual werden.

Echte „Chiliheads“ hingegen messen ihre Nehmerqualitäten seit einigen Jahren in Wettkämpfen, bei denen die Kampfesser eine von Runde zu Runde schärfere Portion vertilgen müssen, bis der Sieger im KO-System ermittelt ist. In Italien etwa veranstaltet die Accademia Italiana del peperoncino Festivals zur kulinarischen Verbreitung der Chili-Kultur; in Deutschland sind es Imbißverkäufer wie „Curry & Chili“.

Auf den ersten Blick wirkt die unscheinbare Bude an der Osloer Straße im Berliner Wedding wie eine gewöhnliche Currywurstbude, aber dem staunenden zweiten präsentiert sie sich nicht nur als „Berlins schärfster Imbiß“ – weil auch Imbißläden und nicht nur Einzelpersonen gegeneinander antreten –, sondern auch als Gewinner der Deutschen Meisterschaften 2010. Da weitere führende Plätze ebenfalls von Berliner Imbißbuden erkämpft wurden, darf Berlin getrost als Hauptstadt der Currywurst und nicht nur des Döners gelten.

Es mag viele Gründe geben, warum die rote Schote heute Kult ist: Ihr Schärfe-Wirkstoff Capsaicin läßt den Körper euphorisierende Pheromone ausschütten, soll sogar Fett- und Krebszellen vernichten, nebenbei den Blutdruck senken und nicht zuletzt die Potenz steigern. Der Hauptgrund liegt wohl im Zusammenwirken von „kleiner Droge“ und „Foltermittel“; Glückshormone und das Gefühl, etwas „geleistet“ zu haben, verschaffen einem den „Kick“: Das Essen einer Wurst wird zum Extremsport.

Ein Selbstversuch: Mutig und verwegen fühlte ich mich, als ich vor der Liste der nach Schärfe von 1 bis 10 geordneten Chilisoßen stand. Ich las Namen wie „Holy Shit“, „Blair’s After Death Sauce“, „Mad Dog“ oder „Da’ Bomb – The Final Answer“, studierte die Scoville-Zahlen und Warnungen wie „keep away from children“. Am liebsten hätte ich mich nacheinander auf alle zehn Schärfegrade gestürzt, um sofort in den „Curry & Chili Club“ zu gelangen.

Schnell bemerkte ich, daß dieser „Blitzkrieg“ gegen den eigenen Körper nicht zu gewinnen war. Immerhin brachte ich es an zwei Tagen auf neun Würste und bewies mir und der Welt, daß ich imstande war, 1,5 Millionen Scoville im Munde zergehen zu lassen. Dies übrigens ohne mich übergeben zu müssen, wie es mir die Verkäuferin als wahrscheinlich ankündigte.

Ihre ungewöhnliche Warnung schreckte mich allerdings nicht davon ab, eine gute Woche später auch den letzten Gipfel zu erklimmen: „The Source“ heißt die mit 7,5 Millionen Scoville schärfste Chilisoße der Welt, die selbst polizeiliches Pfefferspray (5,3 Millionen) in den Schatten relativer „Laschheit“ stellt und der gewöhnlichen Ketchupsoße in winzigen Tröpfchen beigefügt wird. Anderthalb Stunden und drei Flaschen Bananenmilch benötigte ich, um mir den Verzehr der letzten Wurst auf einem feurig-orangegelben Zettel abstempeln zu lassen und in die Walhalla der Chili-Fetischisten einzugehen. Bei Nummer 10 behielt die freundliche Verkäuferin allerdings recht: Bis spät in die Nacht krümmte ich mich – in kalten Schweiß gebadet – auf der Toilette.

Foto: Currywurst war immer scharf: 1959 ließ sich Herta Heuwer aus Berlin die Sauce als „Chillup“ patentieren

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