© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Fremdgehen oder fremdschämen?
Werbung mit Seitensprung und anderen Sünden
Clemens Taeschner

Schauspieler Heiner Lauterbach bewundert nicht nur monogame Menschen, überdies würde er „viel Geld ausgeben, so zu sein“. Andere wiederum geben Geld aus, um genau das Gegenteil zu erreichen. Neuester Höhepunkt auf dem Markt der Unsittlichkeit ist die aus den USA kommende Seitensprung-Agentur „Ashley Madison“, die mit dem – mit Markenschutz versehenen – Slogan „Das Leben ist zu kurz, gönn’ Dir eine Affäre“ nun auch in Deutschland unterwegs ist.

Werbespots im privaten Hörfunk (RTL) und Anzeigen in Print (Bunte, Wams, Abendzeitung, Hamburger Morgenpost) und Internet (Bild.de) fordern unverblümt zum Ehebruch auf: „Sind Sie in einer unerfüllten Ehe gefangen und wünschen sich eine diskrete Abwechslung? Dann ist Ashley Madison die richtige Agentur für Sie.“

Bezeichnenderweise hat der – so Eigenwerbung – „sichere und seriöse Service“ seinen sittenwidrigen Dienst im Jahr 2002 ausgerechnet an einem Valentinstag aufgenommen. Heute ist Ashley Madison mit angeblich 7,7 Millionen Mitgliedern eine der am schnellsten wachsenden Partnersuche-Webseiten der Welt, die auch in Kanada, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Österreich und der Schweiz genutzt wird.

Das Geschäftsmodell von Ashley Madison ist nichts Außergewöhnliches. Viele Firmen tummeln sich inzwischen in dem Geschäftsfeld „Partnersuche“. Ashley Madison bietet im Kern die gleiche Leistung an wie beispielsweise Parship, Friendscout oder Elitepartner. Um sich aber abzusetzen und ins Gespräch zu bringen, präsentiert sich Ashley Madison bewußt als Seitensprungagentur, bei der Paarungswillige Vorlieben wie „lange Affäre“, „kurze Affäre“ oder „Erotikchat“ angeben können. Mit der Selbstvermarktung als Seitensprungagentur ist eine weitere Eskalationsstufe erreicht.

Die grundsätzliche Frage ist, wie weit Werbung gehen darf, um ein Produkt zu vermarkten. Legendär war die Benetton-Werbung der neunziger Jahre. Damals warb die italienische Modefirma mit einer dem Tode geweihten Ente in einem Ölteppich, mit Aidskranken und den blutverschmierten Klamotten eines in Bosnien getöteten Soldaten. Mit den Produkten des Unternehmens hatte diese Kampagne nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die Werbemotive haben jahrelang die höchsten deutschen Gerichte beschäftigt. 2000 urteilte schließlich das Bundesverfassungsgericht, daß ein Verbot der Bilder gegen die Pressefreiheit verstößt.

Seitdem sind die juristischen Fronten in Deutschland geklärt. Als 2003 Langnese seine Premiummarke Magnum mit „die sieben Todsünden“ bewarb,gab es bei Vertretern der Amtskirche eisige Mienen. Die Kampgane wurde aber nicht zurückgezogen.

In anderen Ländern würde so etwas aus dem Verkehr gezogen. Ein ähnliches Leitmotiv wie bei Langnese (Sünde) hatte die jüngste Werbekampagne der italienischen Eismarke Antonio Federici. Gezeigt wurden schwule Priester, eine hochschwangere Nonne und ein Priester, kurz bevor er eine Nonne küßt. Das war selbst den freizügigen Briten zuviel, obwohl der Humor dort nicht selten weit unterhalb der Gürtellinie – auch der von Geistlichen – anzutreffen ist.

Während selbst die Engländer schwule Priester verbannen, scheint in Berlin jede Provokation zulässig. Selbst landeseigene Betriebe verdienen Geld damit. Daß das Geschäft mit dem Geschlechtsverkehr nicht nur in der Privatwirtschaft Platz hat, demonstrieren die Berliner Verkehrsbetriebe. So warb ein nahe gelegener Sexshop für Homosexuelle („Bruno’s“) auf einem belebten U-Bahnhof mit einem großflächigen Dauerplakat, das ein sich küssendes schwules Paar zeigte. Monatelang warb am Geländer des U-Bahn-Viadukts auch ein Banner des Sexspielzeug-Herstellers „Dildoking“. Die Leistungen des Unternehmenschefs gelten als verdienstvoll: So erklärte jüngst die Berliner Zeitung den Geschäftsführer von „Dildoking“ zum „Mutmacher des Jahres“ in der Region Berlin-Brandenburg!

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