© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Hörbuch: Fallada, Der Trinker
Rausch und Vergessen
Felix Krautkrämer

Wer um die Biographie Rudolf Ditzens, besser bekannt als Hans Fallada, weiß, dem bleibt nicht verborgen, daß das, was seinen Romanen die hohe Authentizität verleiht, nicht selten auf eigenem Erfahren basiert. Der Verleger Peter Suhrkamp schrieb 1934 über Fallada, er kenne genau, was er beschreibt. Fallada sei, während er schreibe, mit dem Gesicht und mit allen Organen ganz nah an den Dingen, „wie jemand, der dabei ist, nicht als Mithandelnder oder Zuschauer oder Berichter, sondern als einer, der dazwischengekommen, mit hineingeraten und dabei in Gefahr gekommen ist.“ Aus solcher Nähe, so genau, so beklemmend seien seine Menschen und ihre Welten gesehen und gekennzeichnet. „Im Erzählen sind Fallada auch seine Zuhörer nahe, er nimmt, möchte man sagen, seine Worte aus ihren Ohren.“

„Der Trinker“ ist wohl Falladas Roman, in dem Handlung und Leben des Autors am unverkennbarsten Parallelen aufweisen. Geschrieben 1944 während seiner Haftzeit in der Nervenanstalt Strelitz, hat Fallada – selbst rauschgift- und alkoholsüchtig – das Werk zu seinen Lebzeiten nicht zum Druck freigegeben. Der Roman erschien erst 1950, drei Jahre nach seinem Tod im Ost-Berliner Aufbau-Verlag. Zweimal wurde er hoch gelobt fürs Fernsehen verfilmt, 1967 mit Siegfried Lowitz und 1995 mit Harald Juhnke in der Hauptrolle. Die nun von der Edition Apollon herausgebrachte, ungekürzte und von dem ausgebildeten Bühnenschauspieler Christian Melchert eindrucksvoll gelesene Hörbuchversion gibt einen Eindruck davon, was Suhrkamp meinte, wenn er von „Worte aus den Ohren nehmen“ sprach.

Aus der Ich-Perspektive schildert Fallada die rasante Wandlung des Kaufmanns Erwin Sommer vom nüchtern-biederen Händler zum selbstzerstörerischen Trinker. Das anfänglich noch heimliche Trinken, die zunehmende Gier nach einem Schluck „Glück“, das sich allmähliche Gewöhnen an den Alkohol und seine Wirkung, das immer exzessiver ausfallende Zechen hin zu einem tiefen und alles umnebelnden Rausch, unterbrochen nur durch den „Morgen danach“. Doch an die Stelle von gewöhnlichen Kopfschmerzen treten schon bald Entzugserscheinungen. Aggression, Selbsthaß, Selbstmitleid, Welthaß, Panik und Paranoia. „Was Fallada in die konzentrierte literarische Form bringt, ist eine Studie zur Pathologie des Trinkers“ (Walter Hinck).

Der Weg Sommers in den Abgrund wirkt unaufhaltsam. Sein wirtschaftlicher Ruin geht einher mit seinem privaten Niedergang. Seine Ehe scheitert. Der Flucht aus der Trinkerheilanstalt folgen vollständige Alkoholabhängigkeit, Kriminalität, Gefängnis und am Ende die Zwangsentmündigung und dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen Heil- und Pflegeanstalt. Als Ausweg wählt Sommer letztlich den Tod. Er infiziert sich absichtlich mit Tuberkulose. Die Krankheit will er geheimhalten, bis es für eine Heilung zu spät ist. Als Sterbender möchte er den Arzt noch um einen letzten Wunsch bitten: Ein Wasserglas voll Schnaps. Dies will er trinken, „nach so vielen Jahren der Entbehrung endlich wieder trinken, Schluck für Schluck, in langen Abständen, voll das unendliche Glück auskostend“ und „entschweben, in Rausch und Vergessen, aus denen es nie ein Erwachen gibt!“

Hans Fallada, Der Trinker 8 CDs, 602 Minuten Edition Apollon, 2010 www.edition-apollon.com

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen