© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Sächsischer Streit ums Kopftuch
Integration: Unter dem Druck der Opposition erlaubt die Staatsregierung den Schülern das Tragen von Kopfbedeckungen
Paul Leonhard

Mützen, Kapuzen und andere Kopfbedeckungen haben im Unterricht prinzipiell nichts zu suchen. Anders sieht es aus, wenn es sich dabei um den Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses handelt. Zu dieser Regelung hat sich jetzt in Sachsen das CDU-geführte Kultusministerium entschlossen. Schülerinnen dürfen demnach künftig im Unterricht Kopftuch tragen, wenn es ihr Glauben verlangt. Die Beamten des Ministeriums verweisen dazu auf das „verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht der Religionsfreiheit“.

Zuvor hatten nicht nur die Opposition und die Dresdner Migrationsberatung gegen das angebliche Kopftuchverbot an sächsischen Schulen protestiert, selbst die FDP war auf Konfrontationskurs zu ihrem Koalitionspartner CDU gegangen. Generell sollte Schülerinnen das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen erlaubt sein, forderte die FDP-Landtagsfraktion. Ein Verbot würde für mehr Schaden sorgen, sagte der bildungspolitische Sprecher Norbert Bläsner. Widerstand gab es dagegen vom bildungspolitischen Sprecher der CDU, Thomas Colditz: „Kopfbedeckungen jeglicher Art gehören unserer Auffassung nach nicht in den Schulunterricht.“ Von dieser Ansicht hat sich jetzt Kultusminister Roland Wöller (CDU) mit seiner Entscheidung gelöst.

Anlaß für den Streit war ein Vorfall an der 101. Mittelschule in Dresden. Dort hatte ein im Oktober aus Afghanistan nach Deutschland gekommenes Ehepaar seine Kinder einschulen wollen. Allerdings sah die Hausordnung vor, daß Kopfbedeckungen im Interesse des gegenseitigen Respekts und der Förderung eines offenen Umgangs untereinander nicht getragen werden dürfen. Die beiden Mädchen wurden in einer anderen Schule eingeschult. Und in den sächsischen Medien brach eine „Kopftuchdebatte“ los.

Die Schule Dresdner Johannstadt gilt offiziell als Musterschule, in der die Eingliederung von ausländischen Kindern hervorragend gelingt. Den deutschen Johannstädtern mit schulpflichtigen Kidern gilt die Schule dagegen als
Problemfall. Sie schicken ihre Kinder auf andere Schulen, notfalls auf Privatschulen. Die Bildungseinrichtung mit dem Namen „Johannes Gutenberg“ hat einen für die sächsische Landeshauptstadt überdurchschnittlichen Migrantenanteil: 137 der 345 Schüler haben zumindest einen ausländischen Elternteil. Unklar ist, ob in dieser Zahl die vielen Kinder Rußlanddeutscher eingerechnet sind, die in der Statistik als Deutsche erfaßt sind.

Jedenfalls sind die Neubaublöcke der Johannstadt mit ihrem für Sachsen untypischen hohen Ausländeranteil ein Ort, um den Deutsche lieber einen großen Bogen machen. Hier befindet sich auch der Spielplatz, auf dem der Streit zwischen der später im Gerichtssaal erstochenen 31jährigen Ägypterin Marwa El-Sherbini und einem Aussiedler begonnen hatte. Hier befinden sich auch die Asylbewerberunterkünfte, in denen ein geduldeter Ausländer unbekannter Herkunft eine 18 Jahre alte Abiturientin ermordet hatte (JF 42/10).

Die vor zwei Jahren beschlossene Schulordnung war dann auch eher ein Versuch, den Schülern simpelste Anstandsregeln beizubringen. Kopfbedeckungen sollten nicht getragen werden, weil sie „die eindeutige Identifizierung von Störern“ erschwerten. Um Religion ging es nicht. Auf diese Ebene hoben erst Politiker wie die frühere GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange (SPD), die schon zu DDR-Zeiten als SED-Mitglied in der Lehrerbildung tätig war, das Thema der beiden afghanischen Mädchen, indem sie Sachsens Weltoffenheit in Frage stellte: Wie könne der Freistaat in einem Werbeslogan behaupten, „ein Land von Welt“ zu sein?

Die Landtagsfraktion der CDU gibt sich indes auch nach der Entscheidung des Kultusministeriums noch nicht ganz geschlagen. Sie verweist darauf, daß sich auch andere Schüler, Eltern oder Lehrer durch Kopftuchträgerinnen gestört fühlen könnten. Die letztendliche Entscheidung, ob an Schulen das Tragen einer religiösen Kopfbedeckung erlaubt ist oder nicht, sollte daher die jeweilige Schulkonferenz künftig in Eigenregie treffen.

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