© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Elektronischer Bürgerprotest
Lion Edler

Drei Jahre ist es her, daß die „Kinderreporter“ des WDR Bundestagsabgeordnete zum Thema Internet befragten. „Einmal oder zweimal“ habe er sich im Internet bewegt, bekannte damals Hans-Christian Ströbele (Grüne). Ob er sich denn eine eigene Startseite ausgesucht habe, wollten die Nachwuchsjournalisten wissen. „Ne, ich weiß gar nicht, was das ist“, gestand Ströbele.

Offenbar fremdeln viele deutsche Politiker noch immer mit dem Internet, und vielleicht liegt es auch daran, daß das Computer-Zeitalter für mehr Transparenz sorgt. Unbequeme Informationen können nicht mehr so leicht vertuscht werden, und auch Kritik am politischen Betrieb findet nun leichter den Weg in die Öffentlichkeit.

Zum Beispiel in Form von sogenannten E-Petitionen an das Parlament. Auf der Seite des Bundestages kann jeder Bürger den Abgeordneten sein Anliegen oder seine Forderung in Form einer elektronischen Eingabe vortragen. Erhält eine Petition innerhalb von drei Wochen 50.000 Unterschriften, muß der Petitionsausschuß den Bürger („Petenten“) anhören. So geschehen im vergangenen Jahr bei der Petition gegen die geplante Sperrung von Internetseiten, die es auf die Rekordzahl von 134.015 Unterzeichnern brachte. Durch das Gesetzesvorhaben sollten kinderpornographische Seiten blockiert werden, doch die Kritiker befürchteten auf diesem Wege eine Ausweitung der  Zensur im Internet auch auf anderen Gebieten.

Offenbar blieb der elektronische  Proteststurm nicht ohne Folgen: Besonders in der SPD brach eine heftige Debatte über das Gesetz aus, das dann schließlich nur mit Abschwächungen beschlossen wurde. Die elektronische Petition hatte die Empörung öffentlich sichtbar gemacht, die offenbar unter der Oberfläche der Gesellschaft brodelte.

In Kürze könnte dies wieder einmal geschehen. Das Thema diesmal: die Ausländerpolitik. Eine neue Petition fordert die Abschaffung der kostenlosen Krankenversicherung ausländischer Familienangehöriger, die nicht in Deutschland leben. Als Beispiel verweist die Petition, die bis Dienstag auf gut 3.700 Unterzeichner kam, auf das deutsch-türkische Abkommen zur sozialen Sicherheit von 1964. Durch dieses Abkommen habe sich eine Rechtspraxis entwickelt, in der auch den in der Türkei lebenden Familienangehörigen von in Deutschland lebenden gesetzlich krankenversicherten Türken eine kostenlose Familienversicherung zukomme.

Deutsche können im Ausland lebende Angehörige dagegen nicht gratis mitversichern lassen, beklagt das Schreiben und spricht von einer „Ungleichbehandlung aller deutschen Staatsangehörigen“. Bis zum 7. Januar 2011 haben die Bürger noch die Möglichkeit, die Petition zu unterzeichnen und auf diesem Weg vielleicht den Bundestag zu veranlassen, sich mit dem Thema zu befassen.

Die Petition gegen die kostenlose Mitversicherung ausländischer Familienangehöriger kann noch bis zum 7. Januar 2011 im Internet unterzeichnet werden   https://epetitionen.bundestag.de

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