© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Es wird weh tun
Damit sich Protest rührt, müssen die Kosten für die Euro-Rettung spürbar werden
Bernd-Thomas Ramb

Noch hat die volle Wucht der Euro-Krise den einfachen Bürger nicht erreicht. Der Preisauftrieb bei den Gütern des täglichen Bedarfs wird noch als moderat empfunden, an die schleichende Geldentwertung hat man sich sogar gewöhnt. Über den Benzinpreis wird allenfalls kurz beim Bezahlen der Rechnung gestöhnt, der Wintervorrat an Heizöl ist meistens schon im Tank und die angekündigten Preiserhöhungen bei Strom und Gas gedanklich in das kommende Jahr verdrängt. Mit der Wirtschaft geht es nicht nur nach Ansicht der Bundesregierung wieder steil bergauf. Auch die EU-Kommission und internationale Organisationen wie IWF und OECD, ja sogar die „unabhängigen“ Wirtschaftsforschungsinstitute und die „Wirtschaftsweisen“ bescheinigen Deutschland glänzende Aussichten, ganz im Gegensatz zu den europäischen Mitstaaten.

Also alles in Butter? Die Unkenrufe der Euro-Untergangspropheten mehr als übertrieben, ja vollständig unberechtigt? Der Euro sei eine Erfolgsgeschichte, tönt es allenthalben. Er werde aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgehen. Alles wird gut. Warum dann aber die heftige Durchhaltepropaganda? Der Euro müsse gerettet werden, koste es, was es wolle! Er sei alternativlos, seine Abschaffung würde alle wirtschaftlichen Vorteile, die Deutschland aus dem Euro gezogen habe, zunichte machen. Die wirtschaftlichen Kosten würden ins Unermeßliche steigen; wesentlich mehr als Deutschland jetzt zu zahlen hat. „Ohne den Euro wäre jeder Deutsche ärmer“, Originalton Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Die einen prognostizieren einen Ansturm von Arbeitslosen aus ganz Europa nach Deutschland, andere vermuten im Falle des Scheiterns der Euro-Währung nicht nur ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union (obwohl deren Mitgliedstaaten nur zum Teil dem Euro-Land angehören), es werden sogar kriegsähnliche Zustände in Europa befürchtet – nicht nur innerhalb der Länder als Bürgerkrieg, sondern sogar zwischen den vormals in europäischer Bruderschaft vereinigten Staaten. Das Überleben des Euro sei eine Frage von Krieg und Frieden.

Die merkwürdige Diskrepanz zwischen den vermeintlichen Wohltaten, die der Euro stiftet, und den existentiellen Gefahren seiner angedachten Abschaffung bedarf einer logischen Auflösung. Offensichtlich sind sich die Verteidiger des Euro ihrer Sache doch nicht so sicher. Weder vertrauen sie auf die nachhaltigen Wohltaten des Euro noch auf seine Unangreifbarkeit. Angegriffen wird der Euro von zwei Seiten. Zum einen ist es das schwindende Vertrauen der Bevölkerung in diese politisch erzwungene Kunstwährung. Auch wenn die materiellen Auswirkungen noch nicht bei jedem einzelnen angekommen sein mögen, das Bauchgefühl wird stärker: Rettungsaktionen in für den Normalbürger unvorstellbaren Größenordnungen von mehreren hundert Milliarden Euro werden zumindest als fragwürdig angesehen.

23 Milliarden bedenkenlose Soforthilfe für Griechenland, während bei einem schlichten Steuervereinfachungsgesetz die Kosten von 590 Millionen Euro gescheut werden. Solche Vergleiche kann auch der einfachste Bürger ziehen. Ihm werden bei einer Anhebung des Arbeitnehmer-Pauschbetrags von 920 auf 1.000 Euro ein paar Euro-Münzen als Steuerersparnis hingeworfen, während der reichere Ire zu Lasten des deutschen Steuerzahlers pro Kopf 20.000 Euro Schuldenhilfe erhält. Die Volksseele kocht, auch wenn der unmittelbare Schmerz noch nicht körperlich wahrgenommen wird. Das Gefühl, daß das System Euro die Grenzen des Anstandes weit überschritten hat, ist mehrheitlich verbreitet.

Schon zieht der Euro-Verteidigungsminister Schäuble die nächste Keule: Eine mögliche Anti-Euro-Partei bedrohe die politische Stabilität. Als hätte er nicht in den neunziger Jahren genügend Erfahrung sammeln können, wie mit einer eurokritischen Partei zu verfahren ist. Seinerzeit versuchte der Bund Freier Bürger unter der Führung des ehemaligen EU-Spitzenbeamten Manfred Brunner mit Hilfe zahlreicher Professoren und Gutachten (deren damalige Prognosen sich heute alle bewahrheitet haben) eine politische Barriere gegen den Euro aufzubauen. Das Scheitern dieser Partei war nicht nur auf die Ungläubigkeit der Wähler zurückzuführen, die sich eine solche Irreführung durch ihre Regierung einfach nicht vorstellen konnten; es war zuvorderst durch die Machenschaften der damaligen und heutigen politischen Machthaber verursacht.

Jede neue Anti-Euro-Partei kann sicher sein, daß sie das gleiche Schicksal erwartet: diffamieren, diskreditieren, totschweigen. Was den Euro letztlich zu Fall bringt, sind nicht neue politische Anti-Euro-Parteien, sondern die ökonomischen Urgewalten, denen alle politischen Kräfte unterlegen sind. Gegen das verbal geäußerte Mißtrauen der Bevölkerung mag die Regierungspropagandamaschine bis zum Heißlaufen ankämpfen. Wirkt sich der Vertrauensverlust aber auf dem Finanzsektor aus und beschleunigen die „bösen Spekulanten“ den Ausstieg aus der ihnen zu heiß gewordenen Euro-Kunstwährung, dann können sich die Politiker den Mund fusselig reden. Gegen die zweite Front des Angriffs auf den Euro hat weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission eine Siegeschance. Dem Bürger tut es dann aber richtig weh.

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