© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Wikileaks erhöht Aufmerksamkeit durch Kooperation
Erst Presseberichte machen Enthüllungen spektakulär / „Spiegel“ droht Strafe wegen voreiliger Verkäufe in Basel
Victor Gaché

Die Leser des Spiegel wurden am Sonntag in Berlin, wo das Magazin normalerweise einen Tag früher verkauft wird, von Kioskverkäufern abgewimmelt. „Vertragsstrafe“, murmelten die Händler. Die neugierigen Leser konnten dafür den Überschriften anderer Zeitungen entnehmen, daß eine neue, große Wikileaks-Enthüllung bevorsteht.

Wikileaks, die Internetplattform für die Bekanntgabe von Geheimnissen aller Art, arbeitet mit mehreren etablierten Zeitschriften aus westlichen Ländern zusammen, um Enthüllungen noch größer herauszubringen, als wenn sie nur im Internet veröffentlicht würden. Es sind dies neben dem Spiegel El Pais (Spanien), Le Monde (Frankreich) und der Guardian (England). Diese Kooperation mit klassischen Medien hat die Wirkung der Veröffentlichungen noch einmal erheblich verstärkt. Die vor einem Jahr veröffentlichten E-Mails von „Klimaforschern“, die viele Fälschungen bewiesen, haben bei weitem nicht so ein großes Echo ausgelöst – eben weil die etablierten Medien das Thema weitgehend ignoriert haben.

Die New York Times hat die Informationen diesmal vom Guardian erhalten, berichtet die Washington Post. Wikileaks-Chef Julian Assange soll der NYT die Zusammenarbeit aufgekündigt haben, weil er mit einem Portrait über sich unzufrieden war. Da die NYT die Informationen nicht vorzeitig veröffentlicht hat, wird diese Vorab-Weitergabe wohl keine Konsequenzen nach sich ziehen.

Dafür könnte dem Spiegel eine 100.000-Dollar-Strafe drohen. Laut Washington Post sollen auch CNN und das Wall Street Journal mit Wikileaks wegen der Botschaftsberichte verhandelt haben. In beiden Fällen habe Wikileaks 100.000 Dollar als Vertragsstrafe für eine vorzeitige Veröffentlichung der Informationen festlegen wollen.

Der Spiegel hat wohl versehentlich eine Ladung mit Magazinen in Basel zu früh zum Verkauf freigegeben. Die Informationen fanden nach kurzer Zeit Verbreitung über Twitter. 100.000 Euro Vertragsstrafe wären indes das geringste Übel für den Spiegel, dessen aktuelle Ausgabe am Dienstag bereits vergriffen war und nachgedruckt werden mußte. Es könnte aber bedeuten, daß der Spiegel demnächst nicht mehr dabei ist – so wie Al Jazeera diesmal. Der arabische Fernsehsender hat im Oktober die Irakkrieg-Dokumente zu früh veröffentlicht und damit gegen die Absprache verstoßen. Eine Spiegel-Sprecherin wollte die Vertragsstrafe gegenüber der JUNGEN FREIHEIT nicht bestätigen. Es könnte jedoch sein, daß die nächste Wikileaks-Enthüllung nicht vom Spiegel, sondern beispielsweise von der Bild-Zeitung oder von der FAZ begleitet wird.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen