© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Mit Zivilcourage gegen islamischen Extremismus
Terrorgefahr: Im Zeichen des Dialoges – Politik und Verfassungsschutz setzen auf alternative Wege der Gefahrenabwehr
Fabian Schmidt-Ahmad

In Deutschland ist der Anblick von Polizisten mit Schnellfeuerwaffen in diesen Tagen allgegenwärtig. Und mancher ahnt, daß diese Präsenz eher dem Auge der Öffentlichkeit geschuldet ist. Doch was tun? Die repressive Seite der Terrorabwehr scheint ausgereizt. MAD, BND, BKA, Polizeiexperten, Bundespolizei und die Verfassungsschutzämter bündeln bereits seit Jahren ihre Kompetenz im „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ (siehe Stichwortkasten).

Plötzlich heißen die Zauberworte Prävention und Deradikalisierung. Vergangene Woche fand dazu ein Symposium des Berliner Verfassungsschutzes statt, und das Ergebnis war klar: Man habe noch viel zu lernen, ja man müsse die Arbeit noch intensivieren, um Licht ins Verborgene zu bringen.

Die Problembereiche sind bekannt. So der sogenannte „homegrown terrorism“, geprägt durch in Deutschland aufgewachsene Muslime der zweiten und dritten Einwanderer-Generation und – zunehmend – auch durch Konvertiten, die in pakistanischen, afghanischen Lagern im Kampf gegen die „Verschwörung des Westens“ gegen die islamische Welt geschult werden.

Herausragende Bedeutung hat dabei der Salafismus, der den Islam in einer reinen, tradierten Form propagiert. „Islamseminare“  stellen dabei eine wichtige Rolle im Prozeß der Radikalisierung dar – und werden als Religionsgemeinschaften vom Verfassungsschutz nicht überwacht: „Im Rahmen der Religionsfreiheit sind sie durch das Grundgesetz anerkannt“, heißt es in einem Bericht von Tomislav Klarić vom Islamwissenschaftlichen Kompetenzzentrum (IKO) des Verfassungsschutzes lapidar: „Weder Islamseminare noch andere islamische Religionsunterweisungen sind als solche Gegenstand der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden.“ Aber gerade hier finden jene Gruppendynamiken der Selbstradikalisierung statt, die bis zum bewaffneten Kampf führen können.

Dem staatlichen Kampf gegen Radikalisierungstendenzen sind somit enge Grenzen gesetzt. Also setzt man auf Alternativen. Modellprojekte zur Islamismus-Prävention schießen aus dem Boden. In Baden-Württemberg wurde just das „Team meX. Mit Zivilcourage gegen islamischen Extremismus“ gestartet. Mit dem Projekt wolle die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) insbesondere Lehrkräfte und Mitarbeiter in Jugendeinrichtungen für das Thema „islamistischer Extremismus“ sensibilisieren, erklärte der LpB-Landesdirektor, Karl-Ulrich Templ.

„Wir brauchen einen Dialog“, fordert der neue Präsident des hessischen Verfassungsschutzes, Roland Desch, gegenüber der Frankfurter Rundschau. Zu diesem Zweck habe die Behörde bereits Islamwissenschaftler eingestellt. Ansonsten will man in Hessen dorthin gehen, wo sich bevorzugt gewaltbereite Muslime finden lassen – in Gefängnisse. Desch kündigte bereits Schulungen für Justizvollzugsbeamte an: „Ein Ziel ist es, die Bediensteten so weit zu sensibilisieren, daß sie solche Tendenzen frühzeitig erkennen und uns informieren – was zum Beispiel Aktivitäten zur Rekrutierung angeht oder welche Literatur in der JVA gelesen wird.“

Auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) setzt auf Gespräche. „Wichtig ist der Dialog mit allen, die nicht gewaltbereit sind”, sagte er auf dem Berliner Symposium. Niemand dürfe ausgegrenzt werden: „Dies bedeutet, auf Mitmenschen aus anderen Kulturkreisen und mit anderem religiösen Hintergrund zuzugehen.“ Begeistert zeigte er sich von dem britischen Projekt der „Active Chance Foundation“ (ACF), welches seit sieben Jahren vom ehemaligen islamischen Gotteskrieger Hanif Qadir geleitet wird.

Qadir hatte in Afghanistan 2002 desillusioniert dem bewaffneten Kampf abgeschworen und kämpft seitdem in London um gefährdete Jugendliche. Die Stiftung wirbt auf der Straße, unterhält ein Fitneß-Studio, bietet Gesprächskreise und Abenteuerreisen wie beispielsweise Bergsteigen an, bei denen muslimische Jugendliche mit Polizisten oder Soldaten in Kontakt treten. Die Menschen der Stiftung würden sich dabei als Moslems für andere Moslems einsetzen, nicht „für die Regierung“, verdeutlichte Qadir den Grundgedanken seiner Stiftung.

Auch alten Bekannten aus dem „Kampf gegen Rechts“ begegnet man wieder. Beispielsweise dem Aussteigerprogramm „Exit“ (51/09), welches sich ursprünglich nur an Rechtsextreme richtete. Seit einem Jahr kümmert man sich nun auch um Familien, deren Kinder in die radikalislamische Szene abdriften.

 Doch „aus einer Vielzahl von Gründen, unter anderem angesichts der religiösen Dimension islamistischer Radikalisierungsprozesse, ist eine einfache Übertragung der in Bund und Ländern seit Jahren praktizierten Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten kaum zielführend möglich“, erklärt die Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Tânia Puschnerat.

„Ganz wichtig ist hier, daß bei der Beschreibung des Phänomens differenziert wird: Der Islam muß ganz deutlich vom Islamismus und erst recht vom Terrorismus unterschieden werden“, bat die Berliner Verfassungsschutzpräsidentin Claudia Schmid und unterstrich die Stoßrichtung der neuen „Präventions“-Theorie. Es könne nicht allein Aufgabe der Sicherheitsbehörden sein, der islamischen Radikalisierung entgegenzuwirken: „Hier sind Migrantenvereine, Schule und alle Institutionen, die mit Jugendlichen arbeiten, in der Pflicht. Aber nicht nur Institutionen, sondern auch und insbesondere Einzelpersonen sind gefragt: Freunde, Eltern, Verwandte und Bekannte – eben die gesamte Gesellschaft.“

 

Deutsche Terrorabwehrzentren

Fern der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung in ihrem Kampf gegen den islamistischen Terrorismus mehrere neue Zentren geschaffen. 2004 wurde in Berlin das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) eröffnet. Im GTAZ arbeiten Spezialisten der deutschen Nachrichtendienste und Experten der Polizei zusammen. Sie werden unterstützt durch Vertreter des Generalbundesanwaltes, des Zollkriminalamtes und des Bundesamtes für Migration.

Ergänzt wird die Arbeit des GTAZ durch das Anfang 2007 eingerichtete „Gemeinsame Internetzentrum“ (GIZ). In ihm werden einschlägige Internetseiten, Diskussionsforen, Newsgroups und Chatbereiche aus dem islamistisch-terroristischen Spektrum beobachtet.

Im April 2009 hat das „Islamwissenschaftliche Kompetenzzentrum“ (IKO) im Bundesamt für Verfassungsschutz seine Arbeit aufgenommen. Dessen Mitarbeiter sind durch Ausbildung, Sprachkenntnisse und Berufserfahrung in der Lage, vielfältige Themen aus dem Bereich des Islamismus, von seiner legalistischen Ausprägung bis hin zum gewaltbereiten „Dschihadismus“, aufzugreifen und zu bearbeiten.

Foto: Dschihad-Plakat in Quetta/Pakistan (Oktober 2001) „Amerika, wir kommen“: Seit Jahren üben nah- und mittelöstliche Terrorcamps einen enormen Reiz auf junge Glaubenskämpfer aus –  die Politik scheint machtlos

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