© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Letzte Chance vom Steuerzahler
USA: General Motors wurde durch Staatshilfe und eine Milliarden-Einbuße der Aktionäre reanimiert
Elliot Neaman

Derzeit wetteifern Toyota und VW um den Titel des weltweit führenden Autoherstellers. Von 1931 bis 2007 war dies – gemessen an den Verkaufszahlen – General Motors (GM). Daß diese Zeiten wohl ein für allemal vorbei sind, sieht man schon am Firmenemblem: Das alte GM-Logo mit seinen stolzen dicken Buchstaben stand für ein Unternehmen, das Amerika 1908 aus dem Zeitalter der Pferdekutschen in die Moderne beförderte. Das neue Logo kommt bescheiden daher – ein Symbol der regierungsfinanzierten Firmenpleite vom Juli 2009, im Zuge deren GM faktisch verstaatlicht wurde. Ein Jahr später erfolgte die Neugründung der Firma, am 19. November dann der Börsengang.

Die GM-Rettung zählte zu jenen Maßnahmen, mit denen die US-Regierung in der Folge der Lehman-Pleite 2008 einen Kollaps der US-Wirtschaft verhindern wollte. Die Republikaner vergessen gerne, daß es eine Entscheidung der Bush-Regierung war, GM mit 13 Milliarden Dollar zu helfen. „Ich mußte entscheiden, ob ich GM pleite gehen lasse oder nicht, und das ausgerechnet am Ende meiner Präsidentschaft“, erklärte kürzlich George W. Bush in einem Gespräch mit dem Reagan-Berater Larry Kudlow. „Ich bin ein Befürworter des freien Marktes. Aber ich war wirklich überzeugt, daß die Wirtschaft kollabieren würde, wenn wir diese Maßnahmen nicht ergriffen hätten.“

Viele Ökonomen glauben, daß das Eingreifen der Regierung eine schwere Depression verhindert hat, womöglich sogar eine globale Wirtschaftskrise. Dennoch räumten Bushs Republikaner mit herber Kritik am „Rettungspaket“ bei den Kongreßwahlen ab (JF 46/10). Daß es sich dabei nicht um Geschenke an die Wirtschaft handelt, sondern um Kredite, die größtenteils auch zurückgezahlt werden, scherte die Obama-Gegner wenig. In diesem Finanzjahr konnte GM bislang Gewinne in Höhe von 4,8 Milliarden Dollar verbuchen, erstmals seit 1994 sind schwarze Zahlen möglich.

Bei der Umstrukturierung im Rahmen des Insolvenzverfahrens („Chapter 11“) wurden Löhne und Nebenkosten sowie die Herstellungs- und Vertriebskosten dramatisch gesenkt, unprofitable Marken (Pontiac, Hummer und Saturn) beerdigt und 27 Milliarden Schulden aus der Bilanz gestrichen – diesen Verlust trugen die Aktionäre. Seine Spitzenposition in der globalen Kfz-Industrie wird GM dennoch kaum wiedererlangen. Immerhin ist das Unternehmen derzeit gut aufgestellt, um Gewinne auf dem wachsenden chinesischen Markt einzufahren. Dank der Partnerschaft mit Shanghai Automotive Industry, das ein Prozent von GM besitzt, verkaufen die Detroiter dort mehr Autos als in den USA selber.

Die langfristige Entwicklung von GM ist unsicher. Die Gewerkschaft UAW hat nicht nur Lohnkürzungen abgesegnet, sondern auch ein Zwei-Klassen-System, das GM die Einstellung von neuen bzw. Teilzeitkräften zu noch schlechteren Konditionen ermöglicht. Sobald es wieder aufwärts geht, steht aber zu erwarten, daß die UAW mit neuen Forderungen an den Verhandlungstisch zurückkehrt.

Hinzu kommt, daß die Regierung im Zuge des Insolvenzverfahrens stellenweise recht ungeschickt agierte, indem sie manche Gläubiger zuungunsten anderer favorisierte und vertragsrechtliche Vorschriften umstieß, die sich über zweihundert Jahre bewährt haben. Wirtschaftsexperten warnen vor dem „moralischen Risiko“, das durch diesen Präzedenzfall geschaffen wurde: daß nämlich Großkonzerne in Zukunft leichtsinnig wirtschaften und sich dabei darauf verlassen, schlimmstenfalls auf Regierungshilfe zählen zu können.

Offen bleibt auch die Frage, ob sich die Schlüsselprobleme bei GM tatsächlich durch den Staat lösen lassen. Der Chevrolet Volt wurde zwar zum „Green Car of the Year 2011“ gekürt, dennoch muß er durch eine Steuerbegünstigung in Höhe von 7.500 US-Dollar den Käufern schmackhaft gemacht werden. Ob die Amerikaner sich mit diesem kleinen Hybridfahrzeug nach japanischem Vorbild anfreunden werden, das zwar energiesparend, aber mit 41.000 Dollar doppelt so teuer wie ein GM-Benziner ist, muß sich noch zeigen.

Ob die Vorbehalte gegen die GM-Rettung berechtigt waren oder die staatlichen Maßnahmen als erfolgreich in die Geschichtsbücher eingehen, ist umstritten. Immerhin begrüßte sogar Ford die Unterstützung für GM und Chrysler – eine Pleite der beiden Konkurrenten hätte die gesamte Versorgungskette und damit die US-Autoindustrie insgesamt in Gefahr gebracht. Und wie hätten wohl Obamas Gegner reagiert, wenn er eine solche Katastrophe zugelassen hätte? In der Krise gingen die Verkaufszahlen für Autos um bis zu 40 Prozent zurück. Früher oder später wird aber der Kreislauf mit etwa 15 Millionen Neuwagen pro Jahr allein in den USA wieder in Gang kommen. Auch bei der Tochter Opel gibt es mit einem Europa-Marktanteil von sieben Prozent erste Lichtblicke. Die Chancen für GM stehen momentan nicht schlecht, sich auf dem Automarkt zu behaupten.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: Rostiges Logo der GM-Marke GMC: Ein Ende des Konzerns hätte die US-Autoindustrie in Gefahr gebracht

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