© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Herzflimmern des Euro
Europäische Zentralbank: Hektische Geldpolitik in Krisenzeiten / Gefährliche Erweiterung der Geldmenge
Bernd-Thomas Ramb

Der griechische Staat auf der Intensivstation, irische Banken im Notarztwagen, Portugal und Spanien auf dem Weg ins Krankenhaus, Italien hustet. Die medizinische Abteilung der Euro-Retter befindet sich im Überlastungszustand. Dabei stehen die EU-Regierungschefs als selbsternannte Fachärzte im Rampenlicht. In den Hintergrund gerät das Herumdoktern der Europäischen Zentralbank (EZB). Verständlich, denn medienwirksam inszenierte Notoperationen mit der Knochensäge namens Euro-Rettungsschirm sind spektakulärer als die stillen Injektionen der EZB, aber nicht unbedingt lebensgefährlicher.

Letztlich ist es die Geldpolitik der EZB, die dem Euro das Schicksal des mors in tabula, des Todes auf dem Operationstisch, beschert. Regierungen können keine freien Steuermittel in finanzschwache Euroländer transferieren, sondern müssen dazu selbst Kredite aufnehmen. Auch bloße Kreditbürgschaften bringen Ländern wie Griechenland und Portugal kaum neue Liquidität. Wenn der Gläubiger in diesen Ländern ausfällt oder zu hohe Zinsen verlangt, ist nur noch der Gang zur EZB möglich. Sie ist es, die neues Zentralbankgeld in Umlauf bringt. In der Regel geschieht dies durch die Vergabe von EZB-Darlehen, die mit einem extrem niedrigen Zinssatz versehen werden – zur Zeit ein Prozent. Dazu muß der Kreditnehmer als Sicherheit Wertpapiere bei der EZB hinterlegen, überwiegend, aber nicht ausschließlich Schuldverschreibungen der Eurostaaten.

Vollkommen neu, wenigstens für deutsche Verhältnisse, ist das EZB-Gebaren, Staatsanleihen maroder Euro-Staaten aufzukaufen. Damit entfällt die Verpflichtung der bisherigen Inhaber, diese Papiere nach Ablauf der Darlehensvereinbarung bei der EZB gegen Geldzahlung wieder einzulösen. In diesem Falle würde Zentralbankgeld wieder in die Tresore der EZB zurückfließen, also dem allgemeinen Zahlungsverkehr entzogen. Ein nicht unwichtiger Vorgang, denn zuviel im Umlauf zirkulierendes Zentralbankgeld fördert Inflationstendenzen. Zwischen dem Umfang der Güter- und Dienstleistungsproduktion und der im Wirtschaftskreislauf zirkulierenden Geldmenge muß das richtige Verhältnis bestehen. Zuviel Zentralbankgeld fördert die Geldentwertung, zu wenig verstärkt die Gefahren des Preisverfalls und der Wachstumshemmung.

Die richtige Geldmengensteuerung war eine Paradedisziplin der Deutschen Bundesbank. Ihr gelang es in D-Mark-Zeiten, Inflationsbekämpfung und Versorgung der Wirtschaft mit ausreichender Geldmenge in einem nahezu optimalen Gleichgewicht zu halten. Dazu ist insbesondere eine kontinuierliche, aber moderate Ausweitung der Zentralbankgeldmenge notwendig. Der US-Geldtheoretiker Milton Friedman (1912–2006), Entwickler der Theorie der optimalen Geldmengensteuerung und neben John Maynard Keynes der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, empfahl ein stetiges Geldmengenwachstum von jährlich drei bis fünf Prozent. Daran hat sich die EZB allenfalls am Anfang ihrer Tätigkeit gehalten.

Ein Blick auf die Entwicklung der Zentralbankgeldmenge seit 1999, dem ersten Jahr der Verantwortung der EZB für die von ihr produzierte Euro-Menge, zeigt drei Phasen. Im ersten Zeitraum bis Anfang 2002 gelang der EZB eine Stabilisierung der Geldmenge. Sie konnte damit die Inflation des Euro auf zwei bis drei Prozent bändigen. Danach aber setzte eine kontinuierliche Ausweitung der Zentralbankgeldmenge ein. Bis Mitte 2008 stieg die von der EZB im gesamten Euroland emittierte Geldmenge von 415 Milliarden auf über 900 Milliarden Euro. Die allein auf Deutschland entfallende Zentralbankgeldmenge verdoppelte sich von 118 Milliarden auf 235 Milliarden Euro.

Die Friedman-Regel einer stetigen Erweiterung der Geldmenge war zwar eingehalten, aber mit viel zu hohen Wachstumsraten: in Deutschland durchschnittlich 17 Prozent, im Euroland durchschnittlich 19 Prozent pro Jahr. Die ungezügelte Ausschüttung von Zentralbankgeld ist um so verhängnisvoller, als die Produktion der Güter- und Dienstleistungen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), im selben Zeitraum nur mäßig anstieg: im Euroland durchschnittlich um zwei Prozent jährlich, in Deutschland sogar nur um 1,5 Prozent. Bei einem so geringen Wirtschaftswachstum muß die Flut von in den Wirtschaftskreislauf gepumptem Zentralbankgeld über kurz oder lang zwangsläufig zu einer Inflation führen.

Noch problematischer wird die EZB-Politik ab der zweiten Jahreshälfte 2008, dem Beginn der großen Bankenkrise. Von stetiger Geldmengenausweitung kann nun nicht mehr die Rede sein. Hektisch werden große Mengen Zentralbankgeld herausgegeben, die dann aus Furcht vor inflationären Schocks schnellstens wieder eingesammelt werden. Allein von Mitte bis Ende des Jahres 2008 steigt die Zentralbankgeldmenge im Euroland um fast ein Drittel ihres Bestands, um im Frühjahr 2009 wieder um 15 Prozent zu sinken. Die hektischen Ausschläge setzten sich bis heute fort. Wer aber welche Summen zu welchen Zinssätzen erhält, um sie anschließend wieder zu – natürlich höheren Zinssätzen – der EZB zu leihen, darüber schweigt die Zentralbank.

Die Zeitkurve der Zentralbankgeldmenge erinnert fatal an das Kardiogramm eines infarktbedrohten Herzens. Die hektische EZB-Politik beschleunigt den kommenden Herzstillstand des Euro, den die aktuellen halsbrecherischen Panikattacken der EU-Regierungen einleiteten.

Foto: EZB-Gebäude in Frankfurt: Die richtige D-Mark-Geldmengensteuerung war eine Paradedisziplin der Deutschen Bundesbank

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