© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Netzknigge 2.0
Benimmregeln haben im digitalen Zeitalter Konjunktur – sie gelten nicht nur im Internet
Patrick Schmidt

Die digitale Revolution hat die menschliche Kommunikation neuen Regeln unterworfen. Mit dem Vorzug der Bequemlichkeit, denn „User“ können unrasiert und ungekämmt vor ihrem Computer sitzen, aber trotzdem im Internet mit einer Chat-Bekanntschaft flirten. Durch ein Pseudonym geschützt, bleibt ihre wahre Identität verborgen; also schimpfen sie nach Lust und Laune oder „bloggen“ unflätig, ohne daß dies Konsequenzen für sie hätte.

Die Nachteile dieser „schönen neuen Medienwelt“ erlebt man dagegen in Bussen, Zügen und U-Bahnen, wo nicht nur ungebildete Zeitgenossen Telefongespräche führen, als wären sie alleine auf dieser Welt. „Wo bist du gerade?“ – dieser Satz bezeugt exemplarisch den redundanten „Smalltalk“ des Mobilfunkzeitalters. Belästigungen und Unverschämtheiten gehen Hand in Hand, wenn Intimitäten auf den „Pinnwänden“ der Internetforen ausgeplaudert oder Beziehungen per Kurznachricht beendet werden.

Vielleicht hat sich deshalb ausgerechnet die Deutsche Telekom Gedanken über die „elektronische Etiquette“ gemacht und einen „Knigge“ für das Web 2.0 entwickeln lassen. Die Anstandsnormen der sozialen Wirklichkeit sollen auf die virtuelle Realität übertragen werden. Nach den Vorstellungen der Macher braucht der „digitale Nomade“ des Web 2.0 stilsichere Handlungsempfehlungen, wie und vor allem in welcher Form er mit seiner Umwelt kommuniziert.

Mittlerweile gibt es mehr als 101 Ratschläge für den Umgang mit neuen Kommunikationsmedien. Eine Gruppe von Kommunikationswissenschaftlern, Designern und Studenten beider Fachrichtungen bemühte sich, das ganze auch wissenschaftlich zu untermauern. Mit Teilnehmern aus 18 Ländern und unter Beteiligung des renommierten Royal College of Art in London haben die von der Deutschen Telekom gesponserten „digital natives“ – also Menschen, die in einer Zeit aufgewachsen sind, in der Handys, Computer und MP3-Spieler bereits zum Alltag gehörten – einen Verhaltenskodex aufgestellt, der sich sehen lassen kann. Empfehlungen wie „Deine Verabredung nicht vor dem ersten Rendezvous googeln – laß dich wenigstens ein paar Tage lang verzaubern“ oder „ Sorge für einen ausgewogenen Medienkonsum und schalte auch mal ab. Vergiß nicht – es gibt ein analoges Leben neben dem digitalen“ präsentieren ihren normativen Gehalt mit einem ironischen Augenzwinkern.

Idee der elektronischen   Etiquette ist nicht neu

Hervorgegangen ist die Idee aus einer Untersuchung zum Internet-Sprachgebrauch von Jugendlichen in Berlins Problembezirk Neukölln. Neu ist sie nicht:Schon vorher gab es die „Netiquette“.Das Kofferwort aus dem englischen „Net“ (für Netz) und „Etiquette“ beschreibt einen Verhaltenskodex aus dem Web 1.0. Alle Teilnehmer einer Kommunikationsplattform stimmen diesen Regeln zu, wenn sie sich dort als Benutzer registrieren. Verstöße gegen die „Netiquette“ führen zum Ausschluß des Nutzers.

Daß solche Verhaltensregeln im Netz zu einer „netzpolitischen Korrektheit“ verkommen können, zeigen sogenannte „Netcops“. Als solche werden Tugendwächter im Internet verächtlich bezeichnet, die allzu streng über die Gebote der Höflichkeit wachen. Eine Antwort auf die „Telekom-eEtiquette“ kam übrigens postwendend vom Deutschen Knigge- Rat. Dieser veröffentlichte einen eigenen Kodex für Höflichkeitsregeln in sozialen Netzwerken.

 www.eetiquette.de

Foto: Gute Manieren kann auch die Generation „@“ erlernen: „Nur R2D2 darf eine Beziehung digital beenden“

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