© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Der Mensch als Schöpfer
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ermöglicht die umstrittene Selektion von Embryonen
Michael Manns

Es war ein Jahrhundertereignis, das Jubel, aber auch geharnischte Kritik hervorrief: Am 25. Juli 1978 um 13 Minuten nach Mitternacht kam Louise Joy Brown auf die Welt. Es war das erste „Baby aus dem Reagenzglas“. Sein Schöpfer, der die Zeugung des Mädchens zum ersten Mal ins Labor verlegt hatte, bekommt am 10. Dezember den Medizin-Nobelpreis. Der 85jährige britische Physiologe Robert Edwards hatte nicht nur Medizingeschichte geschrieben, sondern mit seinen Forschungen auch den Weg zur Präimplantationsdiagnostik (PID) geebnet.

Inzwischen sind mehr als vier Millionen Kinder geboren worden, die so gezeugt wurden. Allein in Deutschland sind es jedes Jahr rund 12.000. Der Weg zum Reagenzglas-Baby war lang. In zahlreichen Studien klärte Edwards auf, wie menschliche Eizellen reifen, wie Hormone das Ei wachsen lassen und wann der richtige Zeitpunkt zur Befruchtung gekommen ist. 1969 gelang es ihm erstmals, eine menschliche Samenzelle in die Eizelle einer Frau zu schleusen. Doch die Zelle teilte sich nur einmal. Leben erwuchs hieraus nicht.

Erst gemeinsam mit dem Gynäkologen Patrick Steptoe folgte der Durchbruch. Das Experiment gelang, die befruchtete Zelle begann sich mehrfach zu teilen. Es war die Geburtsstunde der In-vitro-Fertilisation (IVF) – also die Befruchtung im Reagenzglas. Sie ersetzt den natürlichen Weg der Zeugung eines Kindes durch ein künstlich-technisches „Outsourcing“. Hier setzte auch die Kritik an. Der Mensch maße sich die Rolle des Schöpfers an, so das zentrale Argument. Es gab weitere Kritikpunkte: Nur zehn Prozent der Embryonen, die durch IVF gezeugt werden, gelangen zur Geburt. Außerdem ist es in der Reproduktionsmedizin üblich, die überschüssigen Embryonen zu töten, wenn aus Versehen Mehrlinge gezeugt wurden. Diese Fakten machten die IVF, nicht nur aus der Sicht der katholischen Kirche, vollends verwerflich.

Bei der PID wird ein Embryo, der bei einer künstlichen Befruchtung gewonnen wurde, vor seiner Übertragung in die Gebärmutter der Frau auf Chromosomenanomalien und Genmutationen untersucht. Es gibt dafür mehrere Vorgehensweisen.

Untersuchungen auf schwere Krankheiten

Am häufigsten wird diese Methode angewandt: Dem Embryo werden am dritten Tag nach der Befruchtung im Reagenzglas ein oder zwei Zellen zur Untersuchung entnommen. Er befindet sich zu diesem Zeitpunkt im sogenannten Blastomerenstadium. Das heißt, seine vier bis acht Zellen gelten als totipotent – jede einzelne könnte sich in der Gebärmutter noch zu einem vollständigen Organismus entwickeln. Auch zu einem späteren Zeitpunkt ist im Prinzip noch PID möglich, etwa im sogenannten Blastozystenstadium. Dann besteht der Embryo aus 50 bis 200 Zellen. Die Zellen der sogenannten inneren Zellenmasse gelten als pluripotent, das heißt, aus ihnen können sich noch verschiedene Gewebe entwickeln.

Es gibt noch ein weiteres Verfahren, das moralisch nicht so hochproblematisch ist. Dabei wird nur die Eizelle untersucht – und zwar vor Abschluß der Befruchtung. Im Blick stehen die Polkörper, die beim Reifen der Eizelle entstehen. Sie enthalten einen Satz des mütterlichen Erbgutes. Damit lassen sich zumindest die mütterlichen Erbanlagen der Eizelle indirekt auf Chromosomen-Fehlverteilungen überprüfen. Väterliche Vorerkrankungen können so hingegen nicht untersucht werden. Weil bei dieser Methode kein Embryo manipuliert wird, steht sie nicht im Widerspruch zum Embryonenschutzgesetz. Was leistet die PID? Das Erbgut der entnommenen Zelle kann unter anderem auf Trisomie 21 (Down-Syndrom), Chorea Huntington (Veitstanz), Cystische Fibrose (Mukoviszidose), die Bluterkrankheiten Hämophilie A und B sowie Drepanozytose (Sichelzellanämie) überprüft werden. Die PID ermöglicht auch, einen Embryo mit dem Wunschgeschlecht herauszusuchen sowie unter mehreren Embryonen jenen auszuwählen, der für ein bereits lebendes, aber erkranktes Geschwisterkind am besten als Spender geeignet ist.

1990 wurde das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verabschiedet. Die PID war da noch kein Thema und wurde im Text nicht explizit erwähnt. Aber das Gesetz verbietet es, wenn ein „extrakorporal erzeugter Embryo“ zu einem „nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck“ verwendet wird. Da gegebenenfalls ein Embryo verworfen wird – statt der Frau eingepflanzt und von ihr ausgetragen zu werden –, gilt die PID in Deutschland als nicht mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar.

Konsequente Kritik kam vom Vatikan: Im Unterschied zu anderen Formen der pränatalen Diagnostik folge auf die PID „gewöhnlich die Vernichtung des Embryos“, heißt es in der Instruktion Dignitas Personae. Die PID sei Ausdruck „jener eugenischen Mentalität, welche die selektive Abtreibung in Kauf nimmt, um die Geburt von Kindern zu verhindern, die von Mißbildungen und Krankheiten verschiedener Art betroffen sind. Eine solche Denkart ist niederträchtig und höchst verwerflich, weil sie sich anmaßt, den Wert eines menschlichen Lebens einzig und allein nach Maßstäben wie Normalität und physisches Wohlbefinden zu beurteilen“.

2006 inspizierte ein Berliner Arzt Embryos auf ihre Gendefekte und pflanzte die gesunden einem Paar ein. Der Bundesgerichtshof sprach ihn im Sommer dieses Jahres frei – seitdem steht die PID wieder auf der politischen Tagesordnung und die Forderungen nach Zulassung werden lauter. Sie wird wohl auch kommen, denn die Dämme sind längst gebrochen. Auf ihrem Bundesparteitag hat die CDU die PID nur mit knapper 51-Prozent-Mehrheit abgelehnt und damit einen tiefen Riß offenbart (JF 47/10). Noch vor Weihnachten soll nun der Bundestag entscheiden.

Foto: Gesunde Wunschkinder: Bei der PID werden Reagenzglas-Embryos auf Chromosomenanomalien und Genmutationen untersucht

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